Metadaten

Winkler, Emil; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1937/38, 1. Abhandlung): Zur Geschichte des Begriffs "Comédie" in Frankreich — Heidelberg, 1937

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41993#0016
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
8

Emil Winkler:

Daß der Verfasser eine lebendige Vorstellung von der antiken
Komödie hatte, darf man ausschließen. Er wußte offenbar bloß
das Wort Farce lateinisch nicht anders als durch comedia wieder-
zugeben.
Immerhin hatte der aufkommende Humanismus auch in Frank-
reich in der Komödie eine dramatische Gattung erkannt. Aber
die mittelalterliche Tradition war doch zu stark, als daß der eigen-
tümliche Charakter der antiken Komödie, etwa gar im Sinne des
Plautinischen (soweit diese schon bekannt war), im gewöhnlichen
Gebrauch des Wortes durchgedrungen wäre. Comedie ist zumeist
nichts anderes als Spiel mit verteilten Rohen. So schreibt Nicole
Oresme, Bischof von Lisieux (f 1382), in seiner französischen Bearbei-
tung der Ethik des Aristoteles: «Comedies, aucuns gieux comme sont
ceu.lz oü un komme represente saint Pol, Vautre Judas, Vautre un her-
mite, et dit chascun son personnage1». Wenn dann Margaretha von
Navarra (1492—1549), die Schwester Franz’ I. von Frankreich, ihre
religiösen und weltlichen Moralstücke Comedies nennt, so hegt das
ungefähr auf derselben Linie bei gleichzeitiger Nachwirkung der
mittelalterlichen Anschauungen: „Komödien nennt Margaretha
diese kleinen (religiösen) Dramen (z. B. Comedie des Innocents),
offenbar in rein mittelalterlicher Weise wegen des glücklichen Aus-
gangs der jeweiligen Handlung. Denn die Darstellung des Kinder-
mordes schließt fröhlich mit einem Liede, das die Seelen der
ermordeten Kleinen . . anstimmen2.“ Und Comedie bedeutet
noch am Ende des 16. Jahrhunderts bei Guillaume Bouchet
offenbar ein sehr ernstes Spiel: «Nostre koste ... ca ordonner que
celuy qui ra.fralschiroit les vieilles playes, et nous contristeroit en nous
faisant Souvenir des choses passees seroit puny aussi bien que le poete
Phrynicus pour avoir esmeu ä compassion et ä plorer les Atheniens,
en leur exibant une Comedie de la prinse et destruction de la ville de
Milet: et que Pol, excellent joueur aussi de Comedie: lequel en repre-
sentant une oü il falloit exhiber une douleur, apporta secrettemant et
les os et le cercueil de son fils mort: remplissant tout le thedtre de vrais
pleurs et gemissemens3.»
1 S. Dict. gen. s. v.
2 H. Morf, Geschichte der französischen Literatur im Zeitalter der Re-
naissance, 2. Aufl., Straßburg 1914, S. 99; vgl. P. Jourda, Marguerite d’An-
gouleme, Paris 1930, S. 454.
3 E. Huguet, Dictionnaire de la langue frangaise du seizieme siede,
s. v. Comedie.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften