Metadaten

Winkler, Emil; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1937/38, 1. Abhandlung): Zur Geschichte des Begriffs "Comédie" in Frankreich — Heidelberg, 1937

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41993#0032
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
24

Emil Winkler:

lerische Trieb, im Spiegel ernsterer Bühnendichtung sich selbst,
des eigenen bürgerlichen Lebens Fülle wiederzuerkennen. In der
Vorrede zu seiner Komödie La veuve (1633) hatte bereits Cor-
neille den Gedanken angedeutet: La comedie n’est qu’un portrait
de nos(\) actions et de nos(\) discours, et la perfection des portraits
consiste en la ressemblance. Sur cette maxime je tacke de ne mettre
en la bouche de mes acteurs que ce que diroient vraisemblablement en
leur place ceux qii’ils representent, et de les faire discourir en honnetes
gens . T. Weder das religiöse Theater des Mittelalters, noch die
Königs - und H el de ntragödie des wiedererweckten Altertums hat-
ten dieses bürger iche Bedürfnis zu erfüllen vermocht. In der Mora-
lite war ihm zwar weitgehend Rechnung getragen; .nach ihrem
Untergang aber und als auch Pastorale und Tragikomödie wieder
zurücktraten, enthielt allein die Gattung, die, geschichtlich gesehen,
einst der Heiterkeit entsprungen war, die Elemente, die nach die-
ser Seite hin entwicklungsfähig waren1 2. So ergab sich im Begriff der
Comedie die Spannung. War es eine Spannung zwischen verschie-
denen konstituierenden Elementen des französischen Volkstums,
Spannung zwischen Ausgelassenheit und Nachdenklichkeit in der
französischen Seele?

Mitten hinein in die Spannung des französischen Komödien-
begriffs seiner Zeit war Moliere gestellt. Er, der Schauspieler,
kam von der Farce und dem italienischen Stegreifstück her. Daher
mag seinen ersten Schöpfungen das Lachen selbstverständlich ge-
wesen sein. Dann aber sah er sich der durch Theorie, Begriffs-
tradition und tiefere Bedürfnisse geformten, seit langem lebendigen
andern Vorstellung vom Wesen einer Komödie gegenüber. Auch
eigenes künstlerisches Höherstreben mußte ihn dieser Vcrstedung
näherbringen. Hier setzte der Zwiespalt und das Ringen ein, hier
aber zeigte sich auch die innere Einheit von Molieres Künstlertum.
Moliere kämpft gegen widerstrebende gesellschaftliche Steifheit
um die Rechte des Lachens auch in der hohen Komödie — ohne
diese selbst aufzugeben oder zu verneinen. Verteidigung des La-
1 Corneille, a. a. 0., I, S. 377. Vgl. Jacques Grevin an der früher
(oben S. 14) zitierten Stelle.
2 Daß die höhere Komödie Molieres eigentlich die alte Moralite fort-
setzt, sah schon Petit de Julleville, Le theätre en France, Nouv. edition
(1927), S. 46.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften