Zur Geschichte des Begriffs „Comedie“ in Frankreich.
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suppleer par Vinteret: il ne peut s'elever au cothurne; il rehausse un
peu le brodequin1. Rousseau seinerseits beklagt die angebliche Ent-
bürgerlichung der Komödie2. Und kaum hatten die religiösen Be-
denken an Kraft verloren, so suchte Rousseaus Tugendmoral, um
sich daran sittlich zu entrüsten, das Lachen, das für ihn der Lebens-
nerv der Komödie ist, auch dort, wo es gar nicht war. An einer
berühmten Stelle seiner Lettre ci ddAlembert (1758) unterschiebt er
Moliere, er habe in seinem Misanthrope — jener Komödie des
Dichters, die des Lachens wohl am allerwenigsten enthält — die
Tugend lächerlich machen wollen3.
Im 18. Jahrhundert aber war es auch, daß die Spannung im Be-
griffe Comedie endlich zerriß. Die beiden Spannungspole fielen aus-
einander und gerieten in offenen Gegensatz. Auf der einen Seite
hielt sich das ausgelassene Possenspiel. Auf der andern aber ent-
fernte sich die Komödie mehr denn je vom Lachen. Es begann,
wie gerade an Voltaire zu sehen war, der endlose Streit um
die Möglichkeit eines Comique serieux, eines Comique Larmoyant4.
Zu erklären ist der anscheinend so widerspruchsvolle Begriff, der
nur darum so widerspruchsvoll scheinen konnte, weil comique nun
eindeutig die Bedeutung „komisch“ „zum Lachen reizend“ an-
genommen hatte, zutiefst gewiß nicht (wie man wohl zumeist
liest) aus irgendwelchen Einzelzügen Moliere scher oder sonstiger
Lustspielkunst, sondern einzig aus dem lebendig nachwirkenden
geschichtlichen Bewußtsein, das einst Heinsius extrem formuliert
hatte: movere risum non constituit comoediam, sed plebis aucupium
est: et abusus5. Wenn wir Comedie larmoyante als „weinerliches
Lustspiel“ übersetzen, so ist das eine Gewaltsamkeit. Eine Comedie
larmoyante ist kein Lustspiel, in dem die Tränen fließen; sie ist
eine sentimentale Verwirklichung des bürgerlichen Spieles, das im
Begriff Comedie der Theoretiker vorgebildet war, aber bisher keine
dauernde Gestalt hatte finden können. Ohne Kenntnis dieser Be-
1 Vorrede zur Ausgabe von Corneilles Don Sanche cTAragon, den Vol-
taire indigne d’ailleurs de Vauteur de Cinna findet (Theätre de Pierre Cor-
neille, Bd. V, 1765, S. 241). — Vgl. auch Voltaires Dictionnaire philosophi-
que, Artikel Art dramatique, und zahllose andere Stellen; G. Lanson, Nivelle
de la Chaussee et la Comedie larmoyante, Paris 1887, S. 267 ff.
2 Nouvelle Heloise, Teil II, Brief XVII (Ausgabe D. Mornet, II, Paris
1925, S. 341/42).
3 Ausgabe L. Brunel, Paris (Hachette) 1907, S. 57ff.
4 G. Lanson, Nivelle de la Chaussee, Paris 1887, S. 267ff-
5 S. oben S. 21.
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suppleer par Vinteret: il ne peut s'elever au cothurne; il rehausse un
peu le brodequin1. Rousseau seinerseits beklagt die angebliche Ent-
bürgerlichung der Komödie2. Und kaum hatten die religiösen Be-
denken an Kraft verloren, so suchte Rousseaus Tugendmoral, um
sich daran sittlich zu entrüsten, das Lachen, das für ihn der Lebens-
nerv der Komödie ist, auch dort, wo es gar nicht war. An einer
berühmten Stelle seiner Lettre ci ddAlembert (1758) unterschiebt er
Moliere, er habe in seinem Misanthrope — jener Komödie des
Dichters, die des Lachens wohl am allerwenigsten enthält — die
Tugend lächerlich machen wollen3.
Im 18. Jahrhundert aber war es auch, daß die Spannung im Be-
griffe Comedie endlich zerriß. Die beiden Spannungspole fielen aus-
einander und gerieten in offenen Gegensatz. Auf der einen Seite
hielt sich das ausgelassene Possenspiel. Auf der andern aber ent-
fernte sich die Komödie mehr denn je vom Lachen. Es begann,
wie gerade an Voltaire zu sehen war, der endlose Streit um
die Möglichkeit eines Comique serieux, eines Comique Larmoyant4.
Zu erklären ist der anscheinend so widerspruchsvolle Begriff, der
nur darum so widerspruchsvoll scheinen konnte, weil comique nun
eindeutig die Bedeutung „komisch“ „zum Lachen reizend“ an-
genommen hatte, zutiefst gewiß nicht (wie man wohl zumeist
liest) aus irgendwelchen Einzelzügen Moliere scher oder sonstiger
Lustspielkunst, sondern einzig aus dem lebendig nachwirkenden
geschichtlichen Bewußtsein, das einst Heinsius extrem formuliert
hatte: movere risum non constituit comoediam, sed plebis aucupium
est: et abusus5. Wenn wir Comedie larmoyante als „weinerliches
Lustspiel“ übersetzen, so ist das eine Gewaltsamkeit. Eine Comedie
larmoyante ist kein Lustspiel, in dem die Tränen fließen; sie ist
eine sentimentale Verwirklichung des bürgerlichen Spieles, das im
Begriff Comedie der Theoretiker vorgebildet war, aber bisher keine
dauernde Gestalt hatte finden können. Ohne Kenntnis dieser Be-
1 Vorrede zur Ausgabe von Corneilles Don Sanche cTAragon, den Vol-
taire indigne d’ailleurs de Vauteur de Cinna findet (Theätre de Pierre Cor-
neille, Bd. V, 1765, S. 241). — Vgl. auch Voltaires Dictionnaire philosophi-
que, Artikel Art dramatique, und zahllose andere Stellen; G. Lanson, Nivelle
de la Chaussee et la Comedie larmoyante, Paris 1887, S. 267 ff.
2 Nouvelle Heloise, Teil II, Brief XVII (Ausgabe D. Mornet, II, Paris
1925, S. 341/42).
3 Ausgabe L. Brunel, Paris (Hachette) 1907, S. 57ff.
4 G. Lanson, Nivelle de la Chaussee, Paris 1887, S. 267ff-
5 S. oben S. 21.