Metadaten

Köhler, Walther; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1937/38, 3. Abhandlung): Omnis ecclesia Petri propinqua: Versuch einer religionsgeschichtlichen Deutung — Heidelberg, 1938

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41995#0009
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Omnis ecclesia Petri propinqua.

9

es gelungen wäre, von da aus eine restlos befriedigende Erklärung
zu finden17. Der Ausdruck: omnis ecclesia Petri propinqua bleibt
unklar. Und ist es denn so selbstverständlich, daß von dem ,,Ur-
sprung und Rechtsgrund der kirchlichen Binde- und Lösegewalt
Mt. 16, 18f. diese von Petrus her ausströme ad omnem ecclesiam
Petri propinquam, d. h. auf jede mit Petrus verwandte, von Petrus
abstammende Kirche, und folglich auch auf den Bischof als ihren
Vertreter, oder, wenn man omnis im Sinne von „ganz“ faßt, auf
die ganze von Petrus abstammende Kirche, die aber in jeder Orts-
kirche bzw. deren Bischof in Erscheinung tritt18“ ? Mit diesem
„Ausströmen“, der derivatio, wird doch der Empfänger des Stro-
mes ein Petrus ipse; in casu ist es Bischof Kaliist von Rom19, also
ein römischer Bischof — erstmalig, soweit wir wissen — Petrus
ipse, man könnte ihn unter Berufung auf die vatikanische Consti-
tutio dogmatica de ecclesia Christi vom 18. Juli 1870 mutatis
mutandis „den ersten Papst“ nennen — muß man nicht fragen:
wie wird gedanklich die derivatio potestatis aus Mt. 16, 18f. mög-
lich ? Mit dem Hinweis auf das Vorkommen von derivare und deri-
vatio bei Tertullian20 ist es nicht getan, der Gedankenhintergrund
muß erklärt werden.
Wir stellen die Frage: Gibt es einen Gedankenkomplex, in
den sich die Idee einer derivatio potestatis und der Begriff ecclesia
Petri propinqua sowie das erläuternde id est, einordnen läßt, so
daß von da aus ohne Anleihen bei Tertullian und Cyprian das Edikt
des Bischofs Kallist von Rom erklärt werden kann ? Wir glauben
die Frage bejahen zu können. Auf religionsgeschichtlichem Wege.
„Fließende Kraft“ oder Kraft als Fluidum eignet der Gottheit,
ganz andere Richtung, nämlich in die des Origenes (s. unt. S. 28). Und weil
in ipso (Petro) ecclesia extructa est, sind durchaus nicht ohne weiteres alle
Bischofskirchen „petrusnahe“, wie G. Krüger (Theol. Bl. 6, 1927, 304) deutet,
ganz abgesehen davon, daß Petri propinqua nicht „petrusnahe“, sondern
„petrusverwandt“ heißt. Ganz aus der Tradition deutet H. Bruders: „Mt.
16, 19; 18, 18; und Joh. 20, 22. 23 in frühchristlicher Auslegung“ (Ztschr. f.
kath. Theol. 34, 1910, 659ff.).
17 Vgl. etwa die verschiedenen Deutungen hei Caspar und Koch.
18 H. Koch: ZNW. 1932, 71.
19 wenn auch in thesi gewiß nicht er allein! Id est omnem ecclesiam
Petri propinquam.
20 So H. Koch: ZNW. 1932, 70ff. Es kommt bei Koch (Kall. u. Tert. 95)
die Deutung des derivare nicht sowohl auf ein „ausströmen“ als ein „ableiten“
heraus. Jrrig Preuschen 39, Rolffs 56: „daß er das Recht auch auf Dich
übertragen habe“.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften