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Creutz, Rudolf; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 3. Abhandlung): Medizinisch-physikalisches Denken bei Nikolaus von Cues: und die ihm als "Glossae cardinalis" irrig zugeschriebenen medizinischen Handschriften — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.41998#0004
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Rudolf Creutz:

Um das Jahr 50 v. Chr. erfolgte durch. Themison von Laodikeia
die Gründung der medizinischen Sekte der „Methodiker“, die
mehrere Jahrhunderte lang mit der ältesten Richtung der Hippo-
kratiker oder Dogmatiker um Geltung gerungen hat. Themison
übernahm die Theorien des Asklepiades in etwas modifizierter
Form, ergänzte sie jedoch durch die weitere Theorie der „κοινότη-
τες“, d. h. die Lehre von drei physikalisch gedachten Grundformen,
die einerseits die Ursachen aller Krankheitsvorgänge im Körper
umfassen und anderseits die Voraussetzungen für den Gesundheits-
zustand darstellen wollten. Krankheitsvorgänge waren nach Themi-
soh entweder durch zu starke Spannung in den Poren (στέγνωσις)
bedingt, oder durch das Gegenteil übermäßige Erschlaffung der
Poren (ρύσις oder άτονία). In der Mitte stand als Gesundheit der
Begriff des „Status mixtus“ (το μεμίγμένον).
Die Theorien des Asklepiades und der Methodiker, von denen
Soranos von Ephesos (1.—2. Jh. n. Chr.) der überragendste war
und zugleich einer der größten Ärzte der Antike überhaupt, mußten
wegen ihrer ganz materialistischen Auffassung des Lebens den
schwersten Schlag erhalten durch den bereits monotheistisch ge-
richteten Galenos von Pergamon (129—199 n. Chr.), der als erster
klar zum Ausdruck brachte, daß der menschliche Körper nach dem
Vernunftplane des höchsten Wesens (δημιουργός) geschaffen sei und
daß die Struktur der körperlichen Organe dem Zweckmäßigkeits-
gedanken entspräche. An die Stelle der materialistisch-physikalischen
Richtung trat jetzt für ein Jahrtausend die qualitative Säftelehre der
autoritativen galenischen Medizin. Nun hätte die Säftelehre an sich
das physikalische Denken in der Medizin sicherlich nicht für Jahr-
hunderte ausschalten können; wenn es aber trotzdem der Fall
wurde, so in erster Linie nur deshalb, weil der Untergang des west-
römischen Reiches und die Stürme der Völkerwanderung den fast
völligen Niedergang der gesamten Wissenschaft nach sich zogen und
damit auch die Kontinuität medizinischer Forschung unterbrachen.
So sehen wir in der Tat, daß erst die zweite Hälfte des Mittelalters
wieder zwei große medizinisch-physikalische Denker erstehen läßt,
Urso von Salerno und Nicolaus von Gusa.
Urso1 (um 1140—1215) war nicht nur der größte Arzt der Hoch-
blüte der Schule von Salerno, sondern zugleich ein genialer Natur-
1 Vgl. meine Arbeit „Die medizinisch-naturphilosophischen Aphorismen
und Kommentare des Magister Urso Salernitanus, nach Handschi iften latei-
nisch und deutsch herausgegeben“. Quellen u. Studien z. Ge seih, der Naturw
und der Medizin, Bd. V, Η. 1, Berlin 1936.
 
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