LiXXI. Ein kurcze 1er vnd auflegung (n. 12—14).
107
(vollkommene) Einheit ist. Willst du dieses Reich besitzen, so
mußt du friedsamen Herzens leben, sonst kannst du nicht dorthin
kommen. Denn „ein Reich, das in sich geschieden ist, kann nicht
bestehen“, wie im Evangelium des Herrn geschrieben steht und wie
er mit seinem göttlichen Mund gesprochen hat: „Omne regnum in
se divisum desolabitur“.
13. Das ewige Reich Gottes und das Reich dieser Welt sind
gar fern voneinander. Wollen wir nun von dem vergänglichen
Reich zu dem ewigen kommen, so muß das durch unseren Herrn
Jesus Christus auf Grund seines heiligen Verdienens geschehen,
und wir müssen all dies endgültig verachten und, wenn es not tut,
bereitwillig um Gottes willen alles aufgeben, was wir hier besitzen:
Haut und Haar und das Leben dazu. Der König und alle Fürsten
mußten es zurücklassen, es mochte ihnen lieb oder leid sein.
Alle Wesen sind in dem gegenwärtigen Reich dieser Welt un-
gleich im Maß und voneinander geschieden. Denn der Leib ist
wider den Geist, der böse Mensch wider den guten, und wo Zwie-
tracht ist, da kann Liebe nicht sein. Deshalb kann dieses Reich
nicht bestehen. Aber im Reich Gottes sind alle Wesen in der Liebe
geeint, die ewig dauert. Ja, wenn einmal alle anderen Tugenden,
der Glaube und die Hoffnung, ein Ende nehmen, so bleibt doch die
Tugend der Liebe ewig in dem Willen Gottes bestehen.
Dein Wille geschehe im Himmel und auf Erden
14. Alles, was im Inneren der Form oder der Möglichkeit nach
ist, hat einen Ausfluß, und dieser geschieht nach Gottes Willen.
tudines reperiri, quae nos iuvant ad intelligentiam mysteriorum. Nam experi"
mur ipsum unicum lapidem habere essentiam, virtutem et operationem. Unde
imaginem trinitatis relucere in ipso conspicimus; est enim unus lapis et trinus.
2) In paläographischer Hinsicht kann man auf einen ähnlichen Fall in der
Überlieferung einer Eckhart-Predigt verweisen. Vgl. MEISTER ECKHART
Predigten, hrsg. von IOS. QUINT, Deutsche Werke I, 119, 3: als min sele, diu
einiget sich dem ougen an einem werke usw. Nach QUIN TS Apparat haben
zwei Hss. werke, zwei andere wesen. Unsere Konjektur läßt sich also auch paläo-
graphisch rechtfertigen. — Zum Verständnis des Abschnittes vgl. Sermo 241 (V2
173ra; p 142r): Sicut enim paternitas, quae est Deus Pater, fecundissima est
aeternaliter . . ., sic dedit omni creaturae in caelo et in terra similitudinem
sui, ut nulla sit creatura, quae non participet suo modo fecunditatem, ut
illam conetur explicare et in eius arnplexu quiescere: fecunditas illa in angelis
est, in caelo est, in terra est. . . . (V2 173rb; p 142v) . . . Unde patet quod
paternitas, quae inest omnibus creaturis, ostendit similiter et trinitatem Om-
nibus inesse etc.
107
(vollkommene) Einheit ist. Willst du dieses Reich besitzen, so
mußt du friedsamen Herzens leben, sonst kannst du nicht dorthin
kommen. Denn „ein Reich, das in sich geschieden ist, kann nicht
bestehen“, wie im Evangelium des Herrn geschrieben steht und wie
er mit seinem göttlichen Mund gesprochen hat: „Omne regnum in
se divisum desolabitur“.
13. Das ewige Reich Gottes und das Reich dieser Welt sind
gar fern voneinander. Wollen wir nun von dem vergänglichen
Reich zu dem ewigen kommen, so muß das durch unseren Herrn
Jesus Christus auf Grund seines heiligen Verdienens geschehen,
und wir müssen all dies endgültig verachten und, wenn es not tut,
bereitwillig um Gottes willen alles aufgeben, was wir hier besitzen:
Haut und Haar und das Leben dazu. Der König und alle Fürsten
mußten es zurücklassen, es mochte ihnen lieb oder leid sein.
Alle Wesen sind in dem gegenwärtigen Reich dieser Welt un-
gleich im Maß und voneinander geschieden. Denn der Leib ist
wider den Geist, der böse Mensch wider den guten, und wo Zwie-
tracht ist, da kann Liebe nicht sein. Deshalb kann dieses Reich
nicht bestehen. Aber im Reich Gottes sind alle Wesen in der Liebe
geeint, die ewig dauert. Ja, wenn einmal alle anderen Tugenden,
der Glaube und die Hoffnung, ein Ende nehmen, so bleibt doch die
Tugend der Liebe ewig in dem Willen Gottes bestehen.
Dein Wille geschehe im Himmel und auf Erden
14. Alles, was im Inneren der Form oder der Möglichkeit nach
ist, hat einen Ausfluß, und dieser geschieht nach Gottes Willen.
tudines reperiri, quae nos iuvant ad intelligentiam mysteriorum. Nam experi"
mur ipsum unicum lapidem habere essentiam, virtutem et operationem. Unde
imaginem trinitatis relucere in ipso conspicimus; est enim unus lapis et trinus.
2) In paläographischer Hinsicht kann man auf einen ähnlichen Fall in der
Überlieferung einer Eckhart-Predigt verweisen. Vgl. MEISTER ECKHART
Predigten, hrsg. von IOS. QUINT, Deutsche Werke I, 119, 3: als min sele, diu
einiget sich dem ougen an einem werke usw. Nach QUIN TS Apparat haben
zwei Hss. werke, zwei andere wesen. Unsere Konjektur läßt sich also auch paläo-
graphisch rechtfertigen. — Zum Verständnis des Abschnittes vgl. Sermo 241 (V2
173ra; p 142r): Sicut enim paternitas, quae est Deus Pater, fecundissima est
aeternaliter . . ., sic dedit omni creaturae in caelo et in terra similitudinem
sui, ut nulla sit creatura, quae non participet suo modo fecunditatem, ut
illam conetur explicare et in eius arnplexu quiescere: fecunditas illa in angelis
est, in caelo est, in terra est. . . . (V2 173rb; p 142v) . . . Unde patet quod
paternitas, quae inest omnibus creaturis, ostendit similiter et trinitatem Om-
nibus inesse etc.