Metadaten

Nikolaus [Hrsg.]; Koch, Josef [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 4. Abhandlung): Die Auslegung des Vaterunsers in vier Predigten — Heidelberg, 1940

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41999#0282
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
282 J. Koch und H. Teske Cusanus-Texte: I. Predigten, 6.
Wiener Vaterunser-Predigt. Er wußte aber auch, daß eine Predigt,
mochte sie noch so eindringlich und überzeugend sein, nur eine
vorübergehende Wirkung hat. Darum sinnt er auf Mittel einer
dauernden Belehrung, und dabei zeigt sich nun seine praktische
Klugheit: man muß mit dem Einfachsten beginnen und dies
dem Volk in seiner Muttersprache hieten. Die Tafel kündet
auch von dieser Verbundenheit des Legaten mit seinem Volk,
indem sie ihn — offenbar mit einem gewissen Stolz — als deut-
schen Kardinal bezeichnet. Er verdiente diese Bezeichnung
sicher. Aber auch die Zusammenstellung der vier Stücke ist
charakteristisch, wenn auch in verschiedenem Maße. Daß er das
Vaterunser an die Spitze stellt, begreift man wohl, wenn man
die Augsburger Auslegung gelesen hat. Das Vaterunser ist der
Inbegriff der christlichen Lehre. Die Anfügung des Ave Maria
ist auch nicht nur aus der Praxis des Volkes zu erklären; wie sehr
Cusanus dieses Gebet liebte, zeigen die beiden Predigten, die er
ihm gewidmet hat. Die eine, Pr. 39 vom 25. März 1445, hat den
ersten, die andere, Pr. 125 vom 8. September 1453, den zweiten
Teil des Gebetes zum Gegenstand. Die grundlegende Bedeutung
des apostolischen Glaubensbekenntnisses zeigt das dritte
Buch von ,,De Docta Ignorantia“; denn es ist vom 5. Kapitel an
eine ausführliche und tiefgründige Erörterung der wichtigsten
Glaubensartikel1. Am wenigsten cusanisch ist die Anfügung der
Zehn Gebote. Nicht etwa der Reimform wegen, die zeigt, daß
er hier einen im Niederdeutschen geläufigen Text übernahm2, son-
dern weil sich für ihn die Gebote auf das Gebot der Gottes- und
Nächstenliebe reduzieren. Darum finden sich unter seinen Pre-
digten auch keine ,,Moralpredigten“ im eigentlichen Sinne, wenn-
gleich er die Erfüllung des christlichen Sittengesetzes immer wieder
nachdrücklich fordert. Solche Forderungen treten aber nirgendwo
selbständig auf, sondern nur als Folgerungen aus unserm Verhältnis
zu Gott und Jesus Christus.

1 Man könnte sogar sagen, daß die Erörterung mit Kap. 4 beginnt, da
es der Person Jesu gewidmet ist (Art. 2). Kap. 5 ist dem 3. Artikel, 6 dem 4.,
7 dem 5., 8 dem 6., 9 und 10 dem 7., 12 dem 9. gewidmet. Da vom Hl. Geist
ebenso wie vom Vater und Sohn im ersten Buch die Rede war, so scheidet
der 8. wie der 1. Artikel aus. Der 10., 11. und 12. werden mitbehandelt in
den Kapp. 6, 7 und 12.
2 Vgl. dazu G. Schmidt in: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche
Sprachforschung 2 (1876), 30; Borci-iling, a.a.O.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften