Gahmuret, Quellenstudien zu Wolframs Parzival
75
seiner Sammlung sprichwörtlicher Redensarten notiert1. Aber auch
bei dieser Einschränkung läßt es der Dichter noch nicht bewenden,
denn er fügt noch hinzu: ob ichs questen niht vergaeze, d. h. voraus-
gesetzt, daß ich den queste, das ist: den Laubbüschel bei mir hätte,
der nicht nur dazu dient sich die Haut zu streichen, sondern als
Bedeckung der pudenda zugleich die Rolle der modernen Bade-
hose spielt. Jedermann kennt ihn in dieser Verwendung von den
einzigen nackten Gestalten mittelalterlicher Plastik an unseren
Kirchenportalen, wo Adam und Eva ihre Nacktheit regelmäßig mit
einem solchen questen (auch wadel genannt) an Stelle der folia ficus
der Genesis zu bedecken pflegen. Man sieht also: die Nachsätze
heben hier den Vordersatz vollkommen auf. Den Sinn der ganzen
Stelle hat H. Holland2 schon vor 80 Jahren treffend so formu-
liert: Wolfram wollte nicht unter die Federfuchser gerechnet sein.
Daß Wolfram französisch nicht bloß verstand, sondern auch
sprach, sagt er uns — mit der ihm geläufigen Selbstironisierung —
im Willeh. 237. 5: ein ungevüeger Tschampaneys künde vil baz fran-
zeys dann ich, swiech franzoys spreche. Nach den Kulturverhält-
nissen der Zeit konnte ein junger Mann ritterlichen Standes auch
an einem deutschen Hofe französisch sprechen lernen. Warum
Wolfram aber gerade einen Bauern aus der Champagne nennt ?
Wir sehen aus dem Parzival, daß er Deutschland von der Ucker-
mark bis in die südliche Steiermarck durchzogen hat. Warum
sollte er nicht auch weit nach Westen, bis in die Champagne ge-
kommen sein, wie Walther als fahrender Sänger bis an die Seine
kam ? Wolfram, der mit Schild und ouch mit sper wohl nicht allein
minne solt, sondern auch realeren Sold zu erwerben gezwungen war,
indem er sich Kriegführenden verdingte und an Turnieren sich auf
Gewinn beteiligte, als ein Chevaliers erranz, dessen Lebensform wir
nirgendwo besser kennen lernen als in der Lebensgeschichte Wil-
helms des Marschalls.
Swer Schildes ambet Heben wil,
Der muoz durchstrichen lande vil
erklärt Wolfram als ritterlichen Lebensgrundsatz Parz. 499. 9.
1 E. Thiele, Luthers Sprichwörtersammlung, Weimar 1900, Nr. 36, da-
zu weitere Belege S. 82 f.
2 Geschichte der altdeutschen Dichtkunst in Bayern, Regensburg 1862,
S. 127.
75
seiner Sammlung sprichwörtlicher Redensarten notiert1. Aber auch
bei dieser Einschränkung läßt es der Dichter noch nicht bewenden,
denn er fügt noch hinzu: ob ichs questen niht vergaeze, d. h. voraus-
gesetzt, daß ich den queste, das ist: den Laubbüschel bei mir hätte,
der nicht nur dazu dient sich die Haut zu streichen, sondern als
Bedeckung der pudenda zugleich die Rolle der modernen Bade-
hose spielt. Jedermann kennt ihn in dieser Verwendung von den
einzigen nackten Gestalten mittelalterlicher Plastik an unseren
Kirchenportalen, wo Adam und Eva ihre Nacktheit regelmäßig mit
einem solchen questen (auch wadel genannt) an Stelle der folia ficus
der Genesis zu bedecken pflegen. Man sieht also: die Nachsätze
heben hier den Vordersatz vollkommen auf. Den Sinn der ganzen
Stelle hat H. Holland2 schon vor 80 Jahren treffend so formu-
liert: Wolfram wollte nicht unter die Federfuchser gerechnet sein.
Daß Wolfram französisch nicht bloß verstand, sondern auch
sprach, sagt er uns — mit der ihm geläufigen Selbstironisierung —
im Willeh. 237. 5: ein ungevüeger Tschampaneys künde vil baz fran-
zeys dann ich, swiech franzoys spreche. Nach den Kulturverhält-
nissen der Zeit konnte ein junger Mann ritterlichen Standes auch
an einem deutschen Hofe französisch sprechen lernen. Warum
Wolfram aber gerade einen Bauern aus der Champagne nennt ?
Wir sehen aus dem Parzival, daß er Deutschland von der Ucker-
mark bis in die südliche Steiermarck durchzogen hat. Warum
sollte er nicht auch weit nach Westen, bis in die Champagne ge-
kommen sein, wie Walther als fahrender Sänger bis an die Seine
kam ? Wolfram, der mit Schild und ouch mit sper wohl nicht allein
minne solt, sondern auch realeren Sold zu erwerben gezwungen war,
indem er sich Kriegführenden verdingte und an Turnieren sich auf
Gewinn beteiligte, als ein Chevaliers erranz, dessen Lebensform wir
nirgendwo besser kennen lernen als in der Lebensgeschichte Wil-
helms des Marschalls.
Swer Schildes ambet Heben wil,
Der muoz durchstrichen lande vil
erklärt Wolfram als ritterlichen Lebensgrundsatz Parz. 499. 9.
1 E. Thiele, Luthers Sprichwörtersammlung, Weimar 1900, Nr. 36, da-
zu weitere Belege S. 82 f.
2 Geschichte der altdeutschen Dichtkunst in Bayern, Regensburg 1862,
S. 127.