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Friedrich Panzer:
selten bis in den Wortlaut hinein. Daneben aber zeigt sich eine
souveräne Freiheit in Zufügung und Weglassung und vor allem
eine gedanken- und gefühlsmäßige Durchdringung, die die Vorlage
vertieft und überhöht. Bei einem Vergleich der Erzählung vom
Zweikampfe zwischen Parzival und Feirefiz mit dem entsprechen-
den Abschnitte im Ipomedon wird das ausgezeichnet sichtbar.
Zum Schlüsse endlich noch dies. Die Vorgeschichte als Ganzes
ruht deutlich auf Grundgedanken, die in Wolframs Weitsicht eine
bedeutsame Rolle spielen. Das ist es auch, was letzten Endes so-
wohl ihr Dasein erklärt als die Sicherheit gibt, daß sie Wolframs
freie Erfindung ist.
Wolfram war der Überzeugung, daß ein Haus nicht gleich
den Halbgott erzeuge noch das Ungeheuer; „erst eine Reihe Böser
oder Guter bringt endlich das Entsetzen, bringt die Freude der
Welt hervor.“ Er ist tief durchdrungen von der bestimmenden
Kraft und Beständigkeit des Blutes. Er schätzt den Zusammen-
hang in der Sippe hoch; fast das ganze figurenreiche Personal des
Parzival ordnet sich in zwei große Sippen und an vielen Stellen
spricht der Dichter von der Wirksamkeit solcher Bindung. Von
seinem Helden insbesondere betont er unablässig, daß seine art —
dies Wort heißt in unserer alten Sprache stets „die angeborene,
aus der Erbmasse fließende Art und Weise“ — daß seine Art vom
Vater ererbt, mindestens in ihm vorbereitet sei. Die erste geistige
Regung schon im Kinde, dem der Vogelsang die Brust sehnsüchtig
weitet — erstracte siniu brüstelin — wird so begründet: des twanc
in art und sin gelüst, sein angeborener Adel tat sich darin kund.
Denn ganz so ging es dem Vater: min herze iedoch nach hoehe strebet,
sagt der junge Gahmuret, ine weiz war umbez also lebet, daz mir
swillet sus min winster brüst. Der Dichter wird nicht müde zu be-
tonen, daß seinen Helden twanc diu Gahmuretes art und an geborniu
manheit. In Kundriens Verfluchung wird Parzival geradezu der
Vorwurf gemacht, er habe sein elterliches Erbe geschändet, als er
die Frage auf der Gralburg unterließ: von Anschouwe iuwer vater
hiez, der iu ander erbe liez denn als ir habt geworben; groß ist ihre
Klage, daz Herzeloyden barn an prise hat sus missevarn1. So ergab
sich für Wolfram der Zwang, den Vater seines Helden in helles
1 Wie innerlich-innig der Zusammenhang der Gahmuretgeschichte mit
der Parzivals ist, darüber hat E. Cucuel viel Gutes gesagt (Die Eingangs-
bücher des Parzival und das Gesamtwerk. Deutsche Forschungen, Bd. 30,
Frankfurt a. M. 1936), das ich hier nicht wiederholen will.
Friedrich Panzer:
selten bis in den Wortlaut hinein. Daneben aber zeigt sich eine
souveräne Freiheit in Zufügung und Weglassung und vor allem
eine gedanken- und gefühlsmäßige Durchdringung, die die Vorlage
vertieft und überhöht. Bei einem Vergleich der Erzählung vom
Zweikampfe zwischen Parzival und Feirefiz mit dem entsprechen-
den Abschnitte im Ipomedon wird das ausgezeichnet sichtbar.
Zum Schlüsse endlich noch dies. Die Vorgeschichte als Ganzes
ruht deutlich auf Grundgedanken, die in Wolframs Weitsicht eine
bedeutsame Rolle spielen. Das ist es auch, was letzten Endes so-
wohl ihr Dasein erklärt als die Sicherheit gibt, daß sie Wolframs
freie Erfindung ist.
Wolfram war der Überzeugung, daß ein Haus nicht gleich
den Halbgott erzeuge noch das Ungeheuer; „erst eine Reihe Böser
oder Guter bringt endlich das Entsetzen, bringt die Freude der
Welt hervor.“ Er ist tief durchdrungen von der bestimmenden
Kraft und Beständigkeit des Blutes. Er schätzt den Zusammen-
hang in der Sippe hoch; fast das ganze figurenreiche Personal des
Parzival ordnet sich in zwei große Sippen und an vielen Stellen
spricht der Dichter von der Wirksamkeit solcher Bindung. Von
seinem Helden insbesondere betont er unablässig, daß seine art —
dies Wort heißt in unserer alten Sprache stets „die angeborene,
aus der Erbmasse fließende Art und Weise“ — daß seine Art vom
Vater ererbt, mindestens in ihm vorbereitet sei. Die erste geistige
Regung schon im Kinde, dem der Vogelsang die Brust sehnsüchtig
weitet — erstracte siniu brüstelin — wird so begründet: des twanc
in art und sin gelüst, sein angeborener Adel tat sich darin kund.
Denn ganz so ging es dem Vater: min herze iedoch nach hoehe strebet,
sagt der junge Gahmuret, ine weiz war umbez also lebet, daz mir
swillet sus min winster brüst. Der Dichter wird nicht müde zu be-
tonen, daß seinen Helden twanc diu Gahmuretes art und an geborniu
manheit. In Kundriens Verfluchung wird Parzival geradezu der
Vorwurf gemacht, er habe sein elterliches Erbe geschändet, als er
die Frage auf der Gralburg unterließ: von Anschouwe iuwer vater
hiez, der iu ander erbe liez denn als ir habt geworben; groß ist ihre
Klage, daz Herzeloyden barn an prise hat sus missevarn1. So ergab
sich für Wolfram der Zwang, den Vater seines Helden in helles
1 Wie innerlich-innig der Zusammenhang der Gahmuretgeschichte mit
der Parzivals ist, darüber hat E. Cucuel viel Gutes gesagt (Die Eingangs-
bücher des Parzival und das Gesamtwerk. Deutsche Forschungen, Bd. 30,
Frankfurt a. M. 1936), das ich hier nicht wiederholen will.