Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen
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konnte denn die kleine, gehaltvolle Studie Verworns der einzige
Versuch einer Wesenserfassung der keltischen Kunst bleiben1. ,,Der
Kelte hatte sich,“ so schließt diese, „ein Ornamentideal gebildet,
das seiner ornamentalen wie figuralen Kunst ihren nationalen Cha-
rakter gab, und mit diesem nationalen Ornament hat er der Mensch-
heit ein Motiv geschenkt, das sich in der ornamentalen Ideoplastik
aller späteren Zeiten als lebenskräftig erwies.“
Insgesamt handelt es sich bei diesem Stil um eine Erschei-
nung am Rande der antiken Kultur, gegründet einerseits auf An-
regungen aus dem Kreise der letzteren, anderseits auf das eigene
Wollen und Können. Seine bekannteste Parallele hat er in der
Kunst der Skythen; aber auch bei den Thrakern und Illyrern, so-
wie den Iberern fehlt es nicht an entsprechenden Ansätzen. Doch
erreicht dieses periphere Können bei den Kelten seine höchste Aus-
prägung und größte Selbständigkeit, und so ist es denn auch kein
Zufall, daß die keltische Kunst durch einen Zeitraum von andert-
halb Jahrtausenden verfolgt werden kann. Dies erscheint umso
beachtlicher, als die keltische Nation infolge des Verlustes ihrer
politischen Selbständigkeit in Gallien wie Britannien einen Teil
ihrer Stoßkraft einbüßt ; gleichsam als ob dieses äußere Geschehen
ihren Lebenswillen nicht berühre, fällt der Schwerpunkt des insel-
keltischen Stiles in die Jahrhunderte der dortigen provinzial-
römischen Herrschaft. In diesem Zusammenhang gilt es auch zu
berücksichtigen, daß die Keltenwanderungen in den letzten Jahr-
hunderten v. Chr. weitgehend mit der germanischen Völkerwande-
rung verglichen werden können und gleichsam ihr großer Vorläufer
sind. Und wie sie — eine außerordentliche Gefahr für die Antike —
die Kelten auf dem Höhepunkt ihrer politischen Macht zeigen, so
erscheint hier der La-Tene-Stil erstmals und ohne jede Vorberei-
tung. Die Frage nach dem keltischen Raum und den keltischen
Schicksalen in der vorangegangenen Zeit hat der Forschung manche
Schwierigkeit bereitet. Dieses Volk tritt mit seinen politischen Er-
folgen und der eigenen Kunstübung plötzlich und eindeutig in den
Lichtkegel von Schriftquellen und archäologischer Greifbarkeit;
aber um so mehr muß nun in den namenlosen Erscheinungen der
Bronze- und Hallstatt-Zeit nach seinen Wurzeln gesucht werden.
Wie bereits angedeutet, sind die wesentlichen Bestandteile des
1 M. Verworv, Keltische Kunst (1919); Ders., unter gleichem Titel,
Korrespondenzblatt der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethno-
logie und Urgeschichte 40, 1909, 18—21.
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konnte denn die kleine, gehaltvolle Studie Verworns der einzige
Versuch einer Wesenserfassung der keltischen Kunst bleiben1. ,,Der
Kelte hatte sich,“ so schließt diese, „ein Ornamentideal gebildet,
das seiner ornamentalen wie figuralen Kunst ihren nationalen Cha-
rakter gab, und mit diesem nationalen Ornament hat er der Mensch-
heit ein Motiv geschenkt, das sich in der ornamentalen Ideoplastik
aller späteren Zeiten als lebenskräftig erwies.“
Insgesamt handelt es sich bei diesem Stil um eine Erschei-
nung am Rande der antiken Kultur, gegründet einerseits auf An-
regungen aus dem Kreise der letzteren, anderseits auf das eigene
Wollen und Können. Seine bekannteste Parallele hat er in der
Kunst der Skythen; aber auch bei den Thrakern und Illyrern, so-
wie den Iberern fehlt es nicht an entsprechenden Ansätzen. Doch
erreicht dieses periphere Können bei den Kelten seine höchste Aus-
prägung und größte Selbständigkeit, und so ist es denn auch kein
Zufall, daß die keltische Kunst durch einen Zeitraum von andert-
halb Jahrtausenden verfolgt werden kann. Dies erscheint umso
beachtlicher, als die keltische Nation infolge des Verlustes ihrer
politischen Selbständigkeit in Gallien wie Britannien einen Teil
ihrer Stoßkraft einbüßt ; gleichsam als ob dieses äußere Geschehen
ihren Lebenswillen nicht berühre, fällt der Schwerpunkt des insel-
keltischen Stiles in die Jahrhunderte der dortigen provinzial-
römischen Herrschaft. In diesem Zusammenhang gilt es auch zu
berücksichtigen, daß die Keltenwanderungen in den letzten Jahr-
hunderten v. Chr. weitgehend mit der germanischen Völkerwande-
rung verglichen werden können und gleichsam ihr großer Vorläufer
sind. Und wie sie — eine außerordentliche Gefahr für die Antike —
die Kelten auf dem Höhepunkt ihrer politischen Macht zeigen, so
erscheint hier der La-Tene-Stil erstmals und ohne jede Vorberei-
tung. Die Frage nach dem keltischen Raum und den keltischen
Schicksalen in der vorangegangenen Zeit hat der Forschung manche
Schwierigkeit bereitet. Dieses Volk tritt mit seinen politischen Er-
folgen und der eigenen Kunstübung plötzlich und eindeutig in den
Lichtkegel von Schriftquellen und archäologischer Greifbarkeit;
aber um so mehr muß nun in den namenlosen Erscheinungen der
Bronze- und Hallstatt-Zeit nach seinen Wurzeln gesucht werden.
Wie bereits angedeutet, sind die wesentlichen Bestandteile des
1 M. Verworv, Keltische Kunst (1919); Ders., unter gleichem Titel,
Korrespondenzblatt der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethno-
logie und Urgeschichte 40, 1909, 18—21.
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