Metadaten

Wahle, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1940/41, 2. Abhandlung): Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen: Grenzen der frühgeschichtlichen Erkenntnis. 1 — Heidelberg, 1941

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42021#0031
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen 31

Nimmt man lediglich die genannten linksrheinischen Germanen-
stämme als diejenigen, die in dem namengebenden Vorgang den
Strom überschritten, dann sieht man sich einem verhältnismäßig
kleinen Gebietsgewinn der Germanen gegenüber, hinsichtlich dessen
die Frage erlaubt ist, weshalb gerade er die Kelten so beeindruckt
haben soll. Huldigt man aber der Vorstellung, der keltische
Gebietsverlust müsse damals in diesem Raume besonders groß ge-
wesen sein, dann hegt es nahe, ihn mit dem Gebiet der linksrheini-
schen Germanen und dazu aller belgischen Stämme zu identifi-
zieren. Die Parallele mit dem salfränkischen Vorstoß bestünde
dann nicht nur in der Größe des Gebietsgewinnes, sondern auch
in dem Gegenstoß der Vorbewohner, der hier zur Iveltisierung und
dort zur Romanisierung eines Teiles der Einwanderer führt und
somit die nach Süden vorgetragene Sprachgrenze ein nennenswertes
Stück nach Norden zurückverlegt. Unter einem derartigen Ge-
sichtswinkel gesehen ist es vielleicht kein Zufall, daß die links-
rheinischen Germanen innerhalb und nördlich der Arduenna Silva
wohnen; hier waren sie vor der Iveltisierung eher geschützt als
etwa die Nervier westlich von ihnen, und zudem siedelten sie ja
auch in nahem Zusammenhang mit ihrem rechtsrheinischen Aus-
gangsgebiet. Wenn ich recht sehe, ist der Versuch, den Unter-
schied zwischen Reigen und linksrheinischen Germanen auf diesem
Wege zu erklären, noch kaum unternommen worden1. Und doch
gilt es zu überlegen, ob nicht diese Deutung, die einerseits mit
einem besonders großen Zusammentreffen beider Völker und ander-
seits mit einer nennenswerten Rückläufigkeit des germanischen
Erfolges arbeitet, den spärlichen Hinweisen der Schriftquellen wie
auch ihrem ethnographischen Bilde gerecht wird.
Der Einmarsch der Beigen in Britannien ist vermittels der
Bodenfunde heute schon recht gut zu verfolgen. Doch können
1 M uch deutet einmal an, daß, wenn die Germani cisrhenani nach
Tacitus als die ersten germanischen Eindringlinge zu bezeichnen seien, ,,die
Beigen den zweiten Vorstoß darstellen würden, der dann weiter gekommen
ist“ (1920, 16). Dagegen rechnet Gutenbrunner (1932, 161) im Hinblick
auf den germanischen Einschlag bei Nerviern und Treverern „mit älteren
Einwanderungen in Gallien“.
Die Heranziehung der Beigen Britanniens fördert die Lösung des Pro-
blems nicht. Wenn die ersten Beigen um 75 v. Chr. in Kent erscheinen, so
ergibt sich daraus nur, daß diesem Zeitpunkt auf dem Festlande eine Periode
der Konsolidierung vorausging. Es bestätigt sich also lediglich, daß die ger-
manische Einwanderung damals schon recht weit zurücklag.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften