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Wahle, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1940/41, 2. Abhandlung): Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen: Grenzen der frühgeschichtlichen Erkenntnis. 1 — Heidelberg, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.42021#0066
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E. Wahle :

der siedelungsgeschichtlich sehr wenig besagende Einzelfund in den
Vordergrund. Ursprünglich das indogermanische Urvolk in dem
älteren Neolithikum suchend, begibt sich Kossinna späterhin all-
zusehr auf den schwankenden Boden des Mesolithikums. „Die un-
gestörte Kontinuität der Kulturentwicklung und besonders des
Siedlungsgebietes an den Grenzen von Ost- und Nordsee geht noch
weiter zurück aus der genannten Übergangsepoche [des frühen
Neolithikums] bis hinauf in die Epoche der ältesten Muschelhaufen
des südwestlichsten Ostseegebietes, deren Anfänge eher noch um
8000 als um 7000 v. Chr. anzusetzen sind. In diesem Punkte in
der Zuteilung der Kultur der Muschelhaufen an die Nordindo-
germanen oder schlechtweg Indogermanen, kehre ich zu einer frü-
heren Ansicht von mir zurück, die ich in meiner letztens gedruckten
Äußerung . . . leider verlassen hatte. Mit der Kultur der ältesten
Muschelhaufen befinden wir uns offensichtlich in einer Epoche, in
der es noch keine gesonderte Germanenfamilie gab, sondern die
gesamte nordindogermanische Gruppe in einem verhältnismäßig
engen Gebiete umschlossen wurde, das fast ausschließlich auf dem
später, d. h. in jüngerneolithischer Zeit, rein germanischen Boden
Südskandinaviens, Dänemarks und Schleswig-Holsteins lag“1.
Bedenkt man, daß hier nur Harpunen und Beile, Hacken aus
Geweih und Geräte aus Feuerstein zur Verfügung stehen, denen
sich einige wenige Ornamentproben und vielleicht dieser und jener
Schädel nicht ganz gesicherten Alters hinzugesellen, dann hat man
ein Bild davon, wie wenig dabei an den hinter diesen Funden stehen-
den Menschen gedacht wird. Das Indogermanenproblem ist ja
vielerorts ein solches nur der räumlichen Festlegung der Urheimat
und nicht auch einer besonderen Gesittung; dem entspricht es,
daß hier die Typen genügen, wo man doch ein Volk sucht. Damit
aber übernimmt Kossinna diejenige typologische Einstellung, die
er in der Prähistorie seiner Zeit und besonders bei seinen Lehr-
meistern Montelius wie auch Tischler vorfindet. Für diese
äußert sich in den Funden gleichsam ein abstrakter Mensch, der
zunächst im wesentlichen nach dem Niveau der materiellen Kultur
eingeschätzt wird und jetzt noch einen Namen erhalten soll; aber
wenn man ihm nun eine volkliche Zugehörigkeit verleiht, so ist
das doch nur ein Wort ohne jeden eigentlichen Inhalt. Durch die
typologische Betrachtungsweise wurde die Prähistorie einst zur
exakten Wissenschaft, und sie wird eine solche bleiben, sofern die

1 Die Herkunft der Germanen, 29.
 
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