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E. Wahle;
gung gleichgesetzt wird, obwohl der Beweis dafür noch fehlt. Wie
diese Bewertung des Stoffes sich vorwiegend darauf gründet, daß
er im Museum stärker in die Augen fällt als wie der Nachlaß an-
derer Zeitabschnitte, so blendet auch anderwärts die äußere Er-
scheinung der Funde. Man hält es z. B. für möglich, einen so ein-
heitlichen Stoff wie denjenigen der Völkerwanderungs- und Mero-
wingerzeit auf alle damals vorhandenen Germanenstämme aufzu-
teilen. Kommen als die Besiedler eines bestimmten Gebietes meh-
rere Völker in Betracht, die im Rahmen der damals stattgehabten
Wanderbewegungen nacheinander dort gewohnt haben, dann liegt
die Versuchung allzu nahe, hier zwischen Burgundern und Aleman-
nen, Thüringern und Langobarden zu scheiden. Und es wird da
„gewissen stilistischen Einzelheiten ein Sinn unterlegt, der ihnen
gar nicht zukommt“1.
Natürlich müssen überall die typologischen Entwicklungsgänge
den Ausgang der Betrachtung bilden; aber man wird mit ihrer ein-
seitigen Betonung dem Leben nicht gerecht, das sich hinter ihnen
verbirgt. Kein Zufall, daß so mitunter Bilder zustande kommen,
die ganz ähnlich schon bei Kossinna erscheinen. Es ist eben die
Methode nicht weiter entwickelt worden, und es fehlt der Instinkt
für das in geschichtlicher Hinsicht Mögliche. Kossinna bietet uns
einmal eine Karte der germanischen Gebietsausweitung in der
Bronzezeit2, in der die Grenze, soweit sie Nordwestdeutschland
betrifft, für die zweite Periode längs der Ems und für die dritte
wenig westlich der Weser verläuft, während sie dann mit der
fünften Periode die Lippe erreicht und westlich des Dollart der
Nordsee zustrebt. Angesichts dieser Unstetigkeit in der germani-
schen Besitznahme des betreffenden Gebietes fragt man doch un-
willkürlich, ob denn irgendeine innere Wahrscheinlichkeit für den
Gebietsverlust vorliegt, den die genannten Grenzen anzeigen, oder
ob nicht eher eine allzu schematische Ausdeutung der Typenfolge
hier zu einem falschen Bilde führt. In gleicher Weise befremdet
der Versuch, das nordostbayerische Früh-La-Tene, eine Welt schö-
ner Maskenfibeln und überhaupt durch Beigaben gut gekennzeich-
1 So urteilt P. Reinecke (Germania 11, 1927, 182) über den entspre-
chenden Versuch H. Preidels. „Durchaus befremdend ist, was Preidel über
das Ende der Markomannen, die Thüringer und Langobarden in Böhmen an
der Hand einzelner Funde und Typen zu sagen weiß; hier zeigt sich doch eben
das völlige Versagen in historischer Hinsicht.“
2 Die Herkunft der Germanen2, 1920, Tafel 5; ein Vorläufer dieser Karte
jedoch ohne Text, in der Zeitschrift Deutsche Erde 11. 1912. Tafel 14.
E. Wahle;
gung gleichgesetzt wird, obwohl der Beweis dafür noch fehlt. Wie
diese Bewertung des Stoffes sich vorwiegend darauf gründet, daß
er im Museum stärker in die Augen fällt als wie der Nachlaß an-
derer Zeitabschnitte, so blendet auch anderwärts die äußere Er-
scheinung der Funde. Man hält es z. B. für möglich, einen so ein-
heitlichen Stoff wie denjenigen der Völkerwanderungs- und Mero-
wingerzeit auf alle damals vorhandenen Germanenstämme aufzu-
teilen. Kommen als die Besiedler eines bestimmten Gebietes meh-
rere Völker in Betracht, die im Rahmen der damals stattgehabten
Wanderbewegungen nacheinander dort gewohnt haben, dann liegt
die Versuchung allzu nahe, hier zwischen Burgundern und Aleman-
nen, Thüringern und Langobarden zu scheiden. Und es wird da
„gewissen stilistischen Einzelheiten ein Sinn unterlegt, der ihnen
gar nicht zukommt“1.
Natürlich müssen überall die typologischen Entwicklungsgänge
den Ausgang der Betrachtung bilden; aber man wird mit ihrer ein-
seitigen Betonung dem Leben nicht gerecht, das sich hinter ihnen
verbirgt. Kein Zufall, daß so mitunter Bilder zustande kommen,
die ganz ähnlich schon bei Kossinna erscheinen. Es ist eben die
Methode nicht weiter entwickelt worden, und es fehlt der Instinkt
für das in geschichtlicher Hinsicht Mögliche. Kossinna bietet uns
einmal eine Karte der germanischen Gebietsausweitung in der
Bronzezeit2, in der die Grenze, soweit sie Nordwestdeutschland
betrifft, für die zweite Periode längs der Ems und für die dritte
wenig westlich der Weser verläuft, während sie dann mit der
fünften Periode die Lippe erreicht und westlich des Dollart der
Nordsee zustrebt. Angesichts dieser Unstetigkeit in der germani-
schen Besitznahme des betreffenden Gebietes fragt man doch un-
willkürlich, ob denn irgendeine innere Wahrscheinlichkeit für den
Gebietsverlust vorliegt, den die genannten Grenzen anzeigen, oder
ob nicht eher eine allzu schematische Ausdeutung der Typenfolge
hier zu einem falschen Bilde führt. In gleicher Weise befremdet
der Versuch, das nordostbayerische Früh-La-Tene, eine Welt schö-
ner Maskenfibeln und überhaupt durch Beigaben gut gekennzeich-
1 So urteilt P. Reinecke (Germania 11, 1927, 182) über den entspre-
chenden Versuch H. Preidels. „Durchaus befremdend ist, was Preidel über
das Ende der Markomannen, die Thüringer und Langobarden in Böhmen an
der Hand einzelner Funde und Typen zu sagen weiß; hier zeigt sich doch eben
das völlige Versagen in historischer Hinsicht.“
2 Die Herkunft der Germanen2, 1920, Tafel 5; ein Vorläufer dieser Karte
jedoch ohne Text, in der Zeitschrift Deutsche Erde 11. 1912. Tafel 14.