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Wahle, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1940/41, 2. Abhandlung): Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen: Grenzen der frühgeschichtlichen Erkenntnis. 1 — Heidelberg, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.42021#0114
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114

E. Wahle:

den großen neolithischen Kreisen, dem megalithisehen, den band-
keramischen usw., Völker erwarten dürfen, welche diese besonders
geartete Gesittung tragen und eine gewisse Expansionskraft haben.
Aber wie weit stehen hinter den viel besprochenen 14 Auswande-
rungszügen aus dem nordischen Kreise, die Kossinna geglaubt hat
feststellen zu können1, wirkliche Bewegungen nennenswerter Volks-
massen ? Wie weit ist das auch wohl hinsichtlich der Untergruppen
der Donaukultur der Fall, in deren Bereich ja, nach einer heute
sehr beliebten Vorstellung, der Rössener Kreis die erste Einwan-
derung von Nordleuten in Süddeutschland anzeigen soll? Diese
vorindogermanischen Völker sind selbst der Sprachforschung ganz
entrückt, und dazu kommt, daß ihr archäologisches Bild umso
ärmer wird, je weiter sie zeitlich zurück hegen.
In den älteren Abschnitten des bäuerlichen Neolithikums ist
der Fundnachlaß schon so gering, daß die typologische Erfassung
der Kulturprovinzen mitunter Schwierigkeiten bereitet. An die
Stelle der Individualität der Gesittungen tritt jetzt eine Art von
Urverwandtschaft. Die Steingeräte begegnen in einigen wenigen,
über sehr große Räume einheitlich vorkommenden Formen. Schon
seit langem wird eine Verbindung zwischen dem Spitzbecher der
Muschelhaufen und dem entsprechenden Gefäß aus dem Michels-
berger Kreise gesucht; verwandte Erscheinungen auf der Pyrenäen-
halbinsel traten hinzu, und durch Beobachtungen in der Schweiz
und in Frankreich, in England und Mitteldeutschland ist ihr Gebiet
immer größer geworden2. Dieser „westische Lederstil“ G. Schuch-
hardts3 hat etwas sehr Ursprüngliches, was in dem Kreise der
sog. Kamm- und Grübchenkeramik weniger ausgesprochen ist.
Und doch begegnet auch dieser letztere in so großen Gebieten,
daß die Einheitlichkeit seiner volklichen Grundlage als ausgeschlos-

1 An diesen Deutungsversuch knüpft die Kritik besonders gerne an,
wenn auch fast immer nur in Form kurzer Bemerkungen von ablehnender Art.
Und selbst eine so ausführliche Auseinandersetzung mit ihm, wie sie W. Petzsch
(Prähistorische Zeitschrift 20, 1929, 145—154) unternommen hat, ureist doch
der Typologie keinen neuen Weg.
2 Mainzer Zeitschrift 3, 1908, 50ff. (P. Reinecke); Stendaler Beiträge
4. H. 7, 1921, 375ff. (P. Kupka); 21. Bericht der Römisch-germanischen
Kommission 1931 (1933), 44ff. (T. D. Kendrick); Mannus 29, 1937, 155ff.
(P. Grimm); Anzeiger für schweizerische Altertumskunde 40, 1938, 1—14
{E. Vogt).
3 Die ersten Indogermanen. Herkunft und Entwicklung (Sitz.-Ber. d.
Preuß. Akad. d. Wisst, Phil.-hist. Kl. 1938, 19), 7ff.
 
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