Metadaten

Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 2. Abhandlung): Rom und die Christen im ersten Jahrhundert — Heidelberg, 1942

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42027#0037
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Rom und die Christen im ersten Jahrhundert

37

haß gedeutet; ein Rückfall in alte Barbarei schien damit ver-
bunden zu sein. So entstand die Stimmung, die Nero benutzte,
als er gegen die Christen einschritt. Es handelte sich dabei aber
nicht um einen Akt wie bei der Judenaustreibung unter Claudius.
Gerade wenn man die hier vorgetragene Hypothese annimmt, daß
die öffentliche Erregung über den Brand Roms den Kaiser zwar
zu den ersten Verhaftungen veranlaßte, daß aber eine sachliche
Beziehung zwischen Brand und Christenverfolgung nicht vorhan-
den war, fehlt jeder Grund, die Vorgänge zeitlich zusammenzu-
drängen. Man muß also mit einem mehrere Monate dauern-
den Vorgehen rechnen; anders war der multitudo ingenS gar nicht
beizukommen1. Die Schuld der Verhafteten bestand aber nicht in
Brandstiftung, sondern in der dem Staat wie der Gesellschaft
schädlichen Gesinnung, dem odium hurnani generis.
VII.
Mit dem Einschreiten Neros gegen die Christen war keineswegs
eine bestimmte Rechtsauffassung zur Geltung gekommen. In den
folgenden Jahrzehnten scheinen die Christen als Christen nicht ohne
weiteres angegriffen worden zu sein. Freilich versuchte man ihnen
auf Grund anderer Anklagen den Prozeß zu machen und hatte dabei
die öffentliche Meinung auf seiner Seite. Es wäre seltsam, wenn es
nicht auch schon damals gelegentlich zu Exzessen des feindlichen
Pöbels gekommen wäre, wie sie über hundert Jahre später Ter-
tullian erwähnt2. Dies ist die Lage, in die der I. Petrusbrief einen
Einblick gewährt. Sie war umso kritischer, als bei näherer Berüh-
rung mit dem Christentum auch die Anklagen der Bildung gegen
das Christentum zunehmen mußten.
Man darf sich bei der Erkenntnis des tiefen Gegensatzes zwi-
schen Urchristentum und Gesellschaft nicht irremachen lassen
durch die christlichen Apologeten des 2. Jahrhunderts, die darauf
ausgehen, diesen Gegensatz zu überbrücken. Man wird vielmehr
gerade gewissen apologetischen Schriften Anklagen entnehmen dür-
1 Karl Meister macht mich darauf aufmerksam, daß auch bei der
Verschwörung des C. Calpurnius Piso nach Tacitus das Vorgehen der Behörde
lange Zeit in Anspruch nimmt. Der ersten Denunziation (Ann. XV 55) folgen
die ersten Verhaftungen, dadurch werden die anderen Verschworenen bekannt;
es kommt zu neuen Verhaftungen, dann erst zwingt man das Haupt der Ver-
schwörung, den bisher unbehelligten Piso, zum Selbstmord.
2 Apologeticum 37 quötiens etiam praeteritis vobis suo iure nos inimicum
vulgus invadit lapidibus et incendiis?
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften