114 G. Hölscher: Die Anfänge der hebräischen Geschichtsschreibung
Anders in Israel, wo jene zielhafte Idee der Geschichte in die
Eschatologie des Profetismus ausmündet. Was für das alte Israel,
wie es J vertritt, im politischen Staate der Davididen seine Ver-
wirklichung fand und auch nach dessen Zusammenbruch, solange
Juda als Staat bestand, Sinn des politischen Handelns blieb, wird
in die Zukunft des erwarteten Gottesreiches projiziert. In dieser
teleologischen Anschauung des Zeitablaufs wurzeln unsere Begriffe
von geschichtlicher Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Eine Geschichtsschreibung, die sich über die Grenzen zwischen
Erkenntnis und Glauben klar ist, muß eine solche teleologische
Betrachtung der Geschichte ablehnen. Ihr gelten nur kritisch fest-
stellbare Tatsachen, die sie als Ursachen und Folgen zu begreifen
sucht. Durch diese kritische Funktion will sie ein von allem Mythi-
schen, Sagenhaften und Erdichteten gereinigtes, unverfälschtes Bild
der Vergangenheit geben. Sie erfüllt damit eine wesentliche Auf-
gabe der Historie: sie distanziert die Vergangenheit von der
Gegenwart und sichert dieser das Recht eigenen Handelns und
Denkens. Aber sie erfüllt damit nur eine der Aufgaben, die der
Historie gestellt sind. Einseitig ausgeübt, wirkt sie zerstörend, in-
dem sie das Band, welches die Gegenwart mit der Vergangenheit ver-
bindet, auf löst; ja die Vergangenheit selbst zerbröckelt unter ihrer
Hand in nackte Tatsachen, aus denen ein lebendiges Bild der Vor-
zeit nur noch rekonstruiert werden kann. Das Persönliche, als ein
ursächlich nicht faßbarer Faktor, wird beiseite geschoben und an
seine Stelle treten als wirksame Faktoren kollektive Mächte der
Gemeinschaften, Staaten, Parteien, Ideologien, und die Geschichte
löst sich auf in ein Spiel unpersönlicher Kräfte, die sich gegen-
seitig anziehen und abstoßen. Aber auch diese Geschichtsbetrach-
tung wird, wo sie sich nicht mit einem reinen Positivismus zufrieden
gibt, immer wieder geneigt sein, ideelle Faktoren in die Geschichte
einzuführen, sei es daß sie zurückgreift auf die Vorstellung eines
zyklischen Ablaufes des Geschehens, eines dem Werden und Ver-
gehen der Natur analogen biologischen Verlaufes und einer ewigen
Wiederkehr der Dinge, sei es daß sie, als Anleihe aus teleologischer
Betrachtung, durch die Idee eines beständigen Fortschritts der
Kultur dem geschichtlichen Geschehen einen sehr problematischen
Sinn unterlegt. In beiden Fällen gelangt die Geschichtsschreibung
an eine Grenze, wo sie zur Geschichtsphilosophie wird.
Historie, wo sie ursprünglich entsteht, wurzelt im Leben der
Gegenwart; ihre Aufgabe ist es, das Bild der Vergangenheit den
Anders in Israel, wo jene zielhafte Idee der Geschichte in die
Eschatologie des Profetismus ausmündet. Was für das alte Israel,
wie es J vertritt, im politischen Staate der Davididen seine Ver-
wirklichung fand und auch nach dessen Zusammenbruch, solange
Juda als Staat bestand, Sinn des politischen Handelns blieb, wird
in die Zukunft des erwarteten Gottesreiches projiziert. In dieser
teleologischen Anschauung des Zeitablaufs wurzeln unsere Begriffe
von geschichtlicher Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Eine Geschichtsschreibung, die sich über die Grenzen zwischen
Erkenntnis und Glauben klar ist, muß eine solche teleologische
Betrachtung der Geschichte ablehnen. Ihr gelten nur kritisch fest-
stellbare Tatsachen, die sie als Ursachen und Folgen zu begreifen
sucht. Durch diese kritische Funktion will sie ein von allem Mythi-
schen, Sagenhaften und Erdichteten gereinigtes, unverfälschtes Bild
der Vergangenheit geben. Sie erfüllt damit eine wesentliche Auf-
gabe der Historie: sie distanziert die Vergangenheit von der
Gegenwart und sichert dieser das Recht eigenen Handelns und
Denkens. Aber sie erfüllt damit nur eine der Aufgaben, die der
Historie gestellt sind. Einseitig ausgeübt, wirkt sie zerstörend, in-
dem sie das Band, welches die Gegenwart mit der Vergangenheit ver-
bindet, auf löst; ja die Vergangenheit selbst zerbröckelt unter ihrer
Hand in nackte Tatsachen, aus denen ein lebendiges Bild der Vor-
zeit nur noch rekonstruiert werden kann. Das Persönliche, als ein
ursächlich nicht faßbarer Faktor, wird beiseite geschoben und an
seine Stelle treten als wirksame Faktoren kollektive Mächte der
Gemeinschaften, Staaten, Parteien, Ideologien, und die Geschichte
löst sich auf in ein Spiel unpersönlicher Kräfte, die sich gegen-
seitig anziehen und abstoßen. Aber auch diese Geschichtsbetrach-
tung wird, wo sie sich nicht mit einem reinen Positivismus zufrieden
gibt, immer wieder geneigt sein, ideelle Faktoren in die Geschichte
einzuführen, sei es daß sie zurückgreift auf die Vorstellung eines
zyklischen Ablaufes des Geschehens, eines dem Werden und Ver-
gehen der Natur analogen biologischen Verlaufes und einer ewigen
Wiederkehr der Dinge, sei es daß sie, als Anleihe aus teleologischer
Betrachtung, durch die Idee eines beständigen Fortschritts der
Kultur dem geschichtlichen Geschehen einen sehr problematischen
Sinn unterlegt. In beiden Fällen gelangt die Geschichtsschreibung
an eine Grenze, wo sie zur Geschichtsphilosophie wird.
Historie, wo sie ursprünglich entsteht, wurzelt im Leben der
Gegenwart; ihre Aufgabe ist es, das Bild der Vergangenheit den