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Karl Engisch:
Das Ergebnis wäre insoweit: Der Schluß, in dem sich die An-
wendung des Gesetzes oder genauer: eines dem Gesetze entnom-
menen Obersatzes auf den konkreten Lebensfall vollzieht, läßt
sich sowohl als modus barbara wie auch als modus ponens dar-
stellen1 II). Bei Zulassung singulärer Untersätze im m. barbara kann
man von einer Äquivalenz dieses modus mit dem m. ponens spre-
chen und im übrigen dem Logiker die Lösung des Problems über-
lassen, ob es sich hier etwa um zwei abgeleitete Formen einer und
derselben logischen Struktur handelt, oder ob die eine Schlußweise
der andern gegenüber sekundär ist.
An diesen Ergebnissen ändert sich logisch gesehen nicht viel,
wenn, wie dies bei juristischen Ableitungen häufig der Fall ist,
Negationen in den Prämissen auftreten, wenn also (in hypo-
thetischer Formulierung) der Schluß etwa folgendermaßen aussieht:
1. Wenn jemand ohne Befugnis (= nicht mit Becht) in der
Wohnung eines andern verweilt, so soll er wegen Hausfrie-
densbruchs bestraft werden
A verweilte ohne Befugnis in der Wohnung eines andern (des X)
A soll wegen Hausfriedensbruch bestraft werden
(Negation im Vordersatz des Obersatzes).
2. Wenn jemand in Notwehr gehandelt hat, so soll er nicht be-
straft werden
A hat in Notwehr gehandelt
A soll nicht bestraft werden
(Negation im Nachsatz des Obersatzes).
3. Wenn jemand nicht zurechnungsfähig ist, so soll er nicht
bestraft werden
A ist nicht zurechnungsfähig
A soll nicht bestraft werden
(Negationen im Vorder- und im Nachsatz des Obersatzes).
I) Jemand tötet einen Menschen als Mörder, wenn er einen Men-
schen vorsätzlich aus Mordlust usw. tötet.
II) M hat einen Menschen vorsätzlich aus Mordlust getötet.
B) M hat also einen Menschen als Mörder getötet.
C) M soll also . .. bestraft werden.
Der führende Schluß A—B—G ist hier jedenfalls nach dem m. ponens gebaut,
ersichtlich aber auch der eingefügte Schluß.
1 Wie sich der Schluß in denAugen eines „Logistikers“ ausnehmen würde,
kann hier nur durch einen Hinweis auf Hilbert-Ackermann, Grundzüge der
theoretischen Logik, 2. Aufl. 1938, S. 81/82 angedeutet werden.
Karl Engisch:
Das Ergebnis wäre insoweit: Der Schluß, in dem sich die An-
wendung des Gesetzes oder genauer: eines dem Gesetze entnom-
menen Obersatzes auf den konkreten Lebensfall vollzieht, läßt
sich sowohl als modus barbara wie auch als modus ponens dar-
stellen1 II). Bei Zulassung singulärer Untersätze im m. barbara kann
man von einer Äquivalenz dieses modus mit dem m. ponens spre-
chen und im übrigen dem Logiker die Lösung des Problems über-
lassen, ob es sich hier etwa um zwei abgeleitete Formen einer und
derselben logischen Struktur handelt, oder ob die eine Schlußweise
der andern gegenüber sekundär ist.
An diesen Ergebnissen ändert sich logisch gesehen nicht viel,
wenn, wie dies bei juristischen Ableitungen häufig der Fall ist,
Negationen in den Prämissen auftreten, wenn also (in hypo-
thetischer Formulierung) der Schluß etwa folgendermaßen aussieht:
1. Wenn jemand ohne Befugnis (= nicht mit Becht) in der
Wohnung eines andern verweilt, so soll er wegen Hausfrie-
densbruchs bestraft werden
A verweilte ohne Befugnis in der Wohnung eines andern (des X)
A soll wegen Hausfriedensbruch bestraft werden
(Negation im Vordersatz des Obersatzes).
2. Wenn jemand in Notwehr gehandelt hat, so soll er nicht be-
straft werden
A hat in Notwehr gehandelt
A soll nicht bestraft werden
(Negation im Nachsatz des Obersatzes).
3. Wenn jemand nicht zurechnungsfähig ist, so soll er nicht
bestraft werden
A ist nicht zurechnungsfähig
A soll nicht bestraft werden
(Negationen im Vorder- und im Nachsatz des Obersatzes).
I) Jemand tötet einen Menschen als Mörder, wenn er einen Men-
schen vorsätzlich aus Mordlust usw. tötet.
II) M hat einen Menschen vorsätzlich aus Mordlust getötet.
B) M hat also einen Menschen als Mörder getötet.
C) M soll also . .. bestraft werden.
Der führende Schluß A—B—G ist hier jedenfalls nach dem m. ponens gebaut,
ersichtlich aber auch der eingefügte Schluß.
1 Wie sich der Schluß in denAugen eines „Logistikers“ ausnehmen würde,
kann hier nur durch einen Hinweis auf Hilbert-Ackermann, Grundzüge der
theoretischen Logik, 2. Aufl. 1938, S. 81/82 angedeutet werden.