42
Karl Exgisch:
die flüchtig vorübereilenden Geschehnisse sondern auch Zu-
stände1 und länger währende Verhältnisse. Was vergangen
ist, ist an sich nicht mehr wirklich2, aber es gehört doch dem histo-
rischen Wirklichkeitszusammenhang an, ist „Tatsache“ und kann
also ohne Bedenken in den von uns gemeinten Bereich aufgenom-
men werden. Dagegen: Tatsache, wirklich, real ist niemals, was
erst der Zukunft angehört, mag es auch mit noch so großer Sicher-
heit erwartet werden3. Eher könnte man noch Spannungszustände
zwischen der Gegenwart und der Zukunft zum Wirklichen rechnen.
Ich denke hier an „Gefahren“, die ja nichts anderes bedeuten als
Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten schädlicher Begebenhei-
ten auf Grund bestimmter gegenwärtig real vorliegender Umstän-
de. Ich denke weiter an persönliche Anlagen und Dispositionen4,
die sich einerseits schon in bestimmten realen Prozessen (psychi-
schen Abläufen, Handlungen usw.) manifestiert haben, anderer-
seits aber auch bestimmte Aktionen und Reaktionen erst für die Zu-
kunft erwarten lassen. Selbstverständlich muß bei solchen Begrif-
fen wie „Gefahr“ oder „Charakteranlage“ oder auch „Gesinnung“
abgesehen werden vom Wertmoment, das in ihnen mitschwingt. Nur
der Tatsachenkern kann hier der Wirklichkeit angehören. Denn
darüber besteht weiter Einigkeit, daß Wertattribute, die wir in
irgendwelchen rechtlichen, moralischen oder ästhetischen Wertun-
gen den Objekten und Vorgängen beilegen, keine Tatsachen dar-
stellen können, nichts Reales sind (ob den „Werten“ selbst wenig-
stens eine ideale Existenz zuzusprechen ist, wie N. Hartmann es
will, oder nur ein „irreales Gelten“ — so Rickert — kann hier da-
hingestellt bleiben)5. Dagegen ist es kein Hinderungsgrund, eine
1 Siehe dazu Mezger, a.a.O., S. 30. Bedenken hat Mannheim, Beiträge
zur Lehre von der Revision, 1925, S. 50. Vgl. auch Engelhard, Die Ehre
als Rechtsgut, 1921, S. 102/03; Linke, a.a.O., S. 120/21.
2 Vgl. Bauch, Wahrheit, Wert und Wirklichkeit, 1923, S. 12/13.
3 Eine Ausnahme macht Mannheim, Preßrecht. 1927, S. 25 für § 11
Preßgesetz.
4 Hierzu Linke, S. 128/29 und RGSt. 55, S. 132.
5 Zum vorstehenden siehe beispielsweise Engelhard, Die Ehre als
Rechtsgut, S. 99: ,/Tatsachenbehauptung’ im Sprachgebrauch . . . ein asser-
torisches Urteil, das kein Wert-(Unwert-)Urteil ist“. Hier werden also Tat-
sachenbehauptung und Werturteil wenigstens für den Sprachgebrauch gerade-
zu als der Gegensatz herausgestellt. Andererseits wird in der juristischen Lite-
ratur öfter darauf hingewiesen, daß sich hinter einem Werturteil bestimmte
Tatsachenbehauptungen verbergen können, z. B. die Behauptung solcher psy-
chischer Akte, die dem Werturteil vorausgehen und hinter ihm stehen (man
Karl Exgisch:
die flüchtig vorübereilenden Geschehnisse sondern auch Zu-
stände1 und länger währende Verhältnisse. Was vergangen
ist, ist an sich nicht mehr wirklich2, aber es gehört doch dem histo-
rischen Wirklichkeitszusammenhang an, ist „Tatsache“ und kann
also ohne Bedenken in den von uns gemeinten Bereich aufgenom-
men werden. Dagegen: Tatsache, wirklich, real ist niemals, was
erst der Zukunft angehört, mag es auch mit noch so großer Sicher-
heit erwartet werden3. Eher könnte man noch Spannungszustände
zwischen der Gegenwart und der Zukunft zum Wirklichen rechnen.
Ich denke hier an „Gefahren“, die ja nichts anderes bedeuten als
Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten schädlicher Begebenhei-
ten auf Grund bestimmter gegenwärtig real vorliegender Umstän-
de. Ich denke weiter an persönliche Anlagen und Dispositionen4,
die sich einerseits schon in bestimmten realen Prozessen (psychi-
schen Abläufen, Handlungen usw.) manifestiert haben, anderer-
seits aber auch bestimmte Aktionen und Reaktionen erst für die Zu-
kunft erwarten lassen. Selbstverständlich muß bei solchen Begrif-
fen wie „Gefahr“ oder „Charakteranlage“ oder auch „Gesinnung“
abgesehen werden vom Wertmoment, das in ihnen mitschwingt. Nur
der Tatsachenkern kann hier der Wirklichkeit angehören. Denn
darüber besteht weiter Einigkeit, daß Wertattribute, die wir in
irgendwelchen rechtlichen, moralischen oder ästhetischen Wertun-
gen den Objekten und Vorgängen beilegen, keine Tatsachen dar-
stellen können, nichts Reales sind (ob den „Werten“ selbst wenig-
stens eine ideale Existenz zuzusprechen ist, wie N. Hartmann es
will, oder nur ein „irreales Gelten“ — so Rickert — kann hier da-
hingestellt bleiben)5. Dagegen ist es kein Hinderungsgrund, eine
1 Siehe dazu Mezger, a.a.O., S. 30. Bedenken hat Mannheim, Beiträge
zur Lehre von der Revision, 1925, S. 50. Vgl. auch Engelhard, Die Ehre
als Rechtsgut, 1921, S. 102/03; Linke, a.a.O., S. 120/21.
2 Vgl. Bauch, Wahrheit, Wert und Wirklichkeit, 1923, S. 12/13.
3 Eine Ausnahme macht Mannheim, Preßrecht. 1927, S. 25 für § 11
Preßgesetz.
4 Hierzu Linke, S. 128/29 und RGSt. 55, S. 132.
5 Zum vorstehenden siehe beispielsweise Engelhard, Die Ehre als
Rechtsgut, S. 99: ,/Tatsachenbehauptung’ im Sprachgebrauch . . . ein asser-
torisches Urteil, das kein Wert-(Unwert-)Urteil ist“. Hier werden also Tat-
sachenbehauptung und Werturteil wenigstens für den Sprachgebrauch gerade-
zu als der Gegensatz herausgestellt. Andererseits wird in der juristischen Lite-
ratur öfter darauf hingewiesen, daß sich hinter einem Werturteil bestimmte
Tatsachenbehauptungen verbergen können, z. B. die Behauptung solcher psy-
chischer Akte, die dem Werturteil vorausgehen und hinter ihm stehen (man