Logische Studien zur Gesetzesanwendung
51
schnitt, Ziff. 4). „Vor der Wahrnehmung und unabhängig von ihr
eine Erscheinung ein wirkliches Ding nennen, bedeutet daher ent-
weder, daß wir im Fortgange der Erfahrung auf eine solche Wahr-
nehmung treffen müssen oder es hat gar keine Bedeutung“ (Casi-
rer, Philosophie der symbolischen Formen III, S. 377 unter Ver-
weisung auf Kant). Kant folgt hier wieder den Spuren von Leir-
niz, der in seinem fünften Schreiben an Clarke zu § 13 scharf die
Notwendigkeit der Beobachtung für die Feststellung der Wirklich-
keit einer Bewegung betont hat: ist eine Veränderung durch keine
Beobachtung feststellbar, „so ist sie auch nicht vorhanden“ (Über-
setzung von Buchenau, Philosophische Bibliothek I, S. 188). Fine
dritte Gruppe, die man weniger als kantiscli denn als kantianisie-
rend bezeichnen könnte, die sich nicht immer deutlich von den vor-
hergehenden Gruppen sondern läßt, aber doch als eigentümlich be-
sondere Hervorhebung verdient, sieht als wirklich dasjenige an, was
durch kategoriale Gedankentätigkeit als wirklich erkannt ist. In
diesem Sinne glaubt z. B. Bauch (a. a. 0. S. 205f.) seinen großen
Lehrmeister Kant ergänzen zu müssen: „Wirklich ist, was mit der
Empfindung in den allgemeinen Zusammenhang der Kategorien
eingeordnet ist.In diesem Sinne machen die unwirklichen ka-
tegorialen Gesetze das Wirkliche selber erst möglich“. In der glei-
chen Richtung bewegen sich die Aufstellungen von Maier und Rik-
kert. Wir können hier natürlich nicht allzu tief auf diese Dinge ein-
gehen, sondern müssen uns mit einigen Bemerkungen begnügen, die
den eigenen Standpunkt rechtfertigen und erläutern sollen:
Die erste Gruppe kann gegen die zweite einwenden1, daß wir
erst dann etwas als wirklich ansehen, wenn es auch unabhängig von
allem menschlichen Wahrnehmen Existenz besitzt. Die Wahrneh-
mung mag allenfalls ein mehr oder minder zuverlässiges Kriterium
des Wirklichen liefern. Sie liefert aber kein Wesensmerkmal. Wahr-
nehmungen können auch bloße Halluzinationen sein. Auch in Träu-
men haben wir Wahrnehmungen, ohne doch in ihnen Wirkliches zu
erleben. Ferner haben wir auch bei Sinnestäuschungen Wahrneh-
mungen, ohne doch gerade bei ihnen des Wirklichen habhaft zu
werden. Andererseits gibt es Wirkliches, das wir als solches aner-
kennen, ohne es je wahrgenommen zu haben (noch nicht bereiste
Länder, vor unserer Zeit liegende historische Begebenheiten), ja
ohne es wahrnehmen zu können (die Rückseite des Mondes, das
1 Siehe hier namentlich die Kritik von Linke und Heyde a.a.O. sowie
von Jacoby a.a.O. S. 55ff., 81 Abs. 2.
4*
51
schnitt, Ziff. 4). „Vor der Wahrnehmung und unabhängig von ihr
eine Erscheinung ein wirkliches Ding nennen, bedeutet daher ent-
weder, daß wir im Fortgange der Erfahrung auf eine solche Wahr-
nehmung treffen müssen oder es hat gar keine Bedeutung“ (Casi-
rer, Philosophie der symbolischen Formen III, S. 377 unter Ver-
weisung auf Kant). Kant folgt hier wieder den Spuren von Leir-
niz, der in seinem fünften Schreiben an Clarke zu § 13 scharf die
Notwendigkeit der Beobachtung für die Feststellung der Wirklich-
keit einer Bewegung betont hat: ist eine Veränderung durch keine
Beobachtung feststellbar, „so ist sie auch nicht vorhanden“ (Über-
setzung von Buchenau, Philosophische Bibliothek I, S. 188). Fine
dritte Gruppe, die man weniger als kantiscli denn als kantianisie-
rend bezeichnen könnte, die sich nicht immer deutlich von den vor-
hergehenden Gruppen sondern läßt, aber doch als eigentümlich be-
sondere Hervorhebung verdient, sieht als wirklich dasjenige an, was
durch kategoriale Gedankentätigkeit als wirklich erkannt ist. In
diesem Sinne glaubt z. B. Bauch (a. a. 0. S. 205f.) seinen großen
Lehrmeister Kant ergänzen zu müssen: „Wirklich ist, was mit der
Empfindung in den allgemeinen Zusammenhang der Kategorien
eingeordnet ist.In diesem Sinne machen die unwirklichen ka-
tegorialen Gesetze das Wirkliche selber erst möglich“. In der glei-
chen Richtung bewegen sich die Aufstellungen von Maier und Rik-
kert. Wir können hier natürlich nicht allzu tief auf diese Dinge ein-
gehen, sondern müssen uns mit einigen Bemerkungen begnügen, die
den eigenen Standpunkt rechtfertigen und erläutern sollen:
Die erste Gruppe kann gegen die zweite einwenden1, daß wir
erst dann etwas als wirklich ansehen, wenn es auch unabhängig von
allem menschlichen Wahrnehmen Existenz besitzt. Die Wahrneh-
mung mag allenfalls ein mehr oder minder zuverlässiges Kriterium
des Wirklichen liefern. Sie liefert aber kein Wesensmerkmal. Wahr-
nehmungen können auch bloße Halluzinationen sein. Auch in Träu-
men haben wir Wahrnehmungen, ohne doch in ihnen Wirkliches zu
erleben. Ferner haben wir auch bei Sinnestäuschungen Wahrneh-
mungen, ohne doch gerade bei ihnen des Wirklichen habhaft zu
werden. Andererseits gibt es Wirkliches, das wir als solches aner-
kennen, ohne es je wahrgenommen zu haben (noch nicht bereiste
Länder, vor unserer Zeit liegende historische Begebenheiten), ja
ohne es wahrnehmen zu können (die Rückseite des Mondes, das
1 Siehe hier namentlich die Kritik von Linke und Heyde a.a.O. sowie
von Jacoby a.a.O. S. 55ff., 81 Abs. 2.
4*