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Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 5. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung: vorgelegt am 14.11.1942 — Heidelberg, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42030#0064
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64

Karl Exgisch:

Aber wie, wenn die unmittelbare Wahrnehmung und auch die per-
sönliche Erinnerung als Mittel der Tatsachenfeststellung ausschei-
den ? Nehmen wir der Einfachheit halber einen materiell-rechtlich
erheblichen Sachverhalt* 1 wie die vorsätzliche ungerechtfertigte Tö-
tung eines Menschen (die zugleich strafbare wie unerlaubte Hand-
lung ist), so ist dem Richter im Prozeß — beachte auch §§ 22 Ziff. 5
StPO., 41 Ziff. 5 ZPO. — vielleicht die Tatsache, daß der Getötete
tot ist und die Leiche bestimmte Wunden aufweist, anschaulich un-
terbreitet worden und somit Gegenstand seiner Wahrnehmung bzw.
Erinnerung geworden. Wesentliche tatsächliche Bestandteile des
Delikts, nämlich die Verursachung des Todes durch bestimmt gear-
tete Mittel und die den Täter hierbei bewegenden Vorstellungen und
Gefühle sind dagegen der unmittelbaren Beobachtung ent-
zogen und können ihr auch nicht mehr zugänglich gemacht werden2.
Dieser, wie man sagen kann, historische Charakter wenigstens eines
Teils der rechtlich erheblichen Tatsachen ist den meisten im Prozeß
zu würdigenden materiell-rechtlich erheblichen Sachverhalten eigen.
Wie geht hier der Beweis von statten ? Die herkömmliche Antwort
lautet: durch Beweismittel und Indizien, wobei aber das
Verhältnis beider zueinander nicht immer klar bestimmt wird. Ge-
wöhnlich werden beide scharf zueinander in Gegensatz gestellt. B e-
weismittel sind ,,Personen, deren Aussagen, oder Sachen, deren
Inhalt oder Beschaffenheit jemandem der Natur der Sache nach . . .
die Überzeugung von einer Tatsache verschaffen kann“3. In Be-
tracht kommen: die Parteien selbst (einschließlich des Beschuldig-
ten im Strafprozeß), Zeugen, Sachverständige und andere Auskunfts-
personen als „persönliche Beweismittel“, Augenscheinsobjekte und
wird. Bei der Photographie und dem Film sind hier mehr Täuschungsmöglich-
keiten gegeben. Aber prinzipiell ist die Lage die gleiche, wenn ich etwas sozu-
sagen durch das Auge der Kamera wahrnehme, wie wenn ich es unmittelbar
mit eigenen Augen wahrnehme. Hier wie dort bedarf das Wahrnehmungs-
ergebnis der Kontrolle durch andere Wahrnehmungen und den Erfahrungs-
zusammenhang.
1 Bekanntlich gibt es auch prozeßerhebliche Tatsachen, für die aber
logisch-grundsätzlich nichts Besonderes gilt. Der im Text besprochene Fail
liefert insofern ein Beispiel, als das Delikt selbst durch den Ort seiner Bege-
hung zuständigkeitsbegründend sein kann (forum delicti commissi).
2 Von dem Fall, daß ein Verbrechen zufällig einmal gefilmt wurde, sehe
ich ab.
3 So von Kries, Lehrbuch des deutschen Strafprozeßrechts, 1892,
'S. 332/33. Ähnliche Bestimmungen findet man immer wieder. Vgl. Beling,
Strafprozeßrecht, 1928, S. 290.
 
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