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Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 5. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung: vorgelegt am 14.11.1942 — Heidelberg, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42030#0082
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Karl Engisch:

genommenen auf der Grundlage der Erfahrung zur Geltung kom-
men. Die logische Struktur insonderheit des Indizienbeweises
läßt zugleich erkennen, wie das Wahrnehmungsmaterial logisch ver-
arbeitet werden muß, um jenes Transzendieren zu ermöglichen. Wie
wir ohne Wahrnehmung nicht zur Wirklichkeit durchstoßen kön-
nen, so gelangen wir doch auch mit der Wahrnehmung allein nicht
zum Ziel. Jeder „Schauprozeß“ ist ein drastisches Exempel dafür,
daß einerseits das Aufgebot noch so vieler Beweismittel und die
schönste logische Harmonie zwischen den durch sie produzierten
Indizien keine Überzeugungskraft besitzt, wenn hinter dieser Fas-
sade von Aussagen und Anzeichen ein fingierter und nicht ein wahr-
genommener bzw. grundsätzlich wahrnehmbarer Sachverhalt steht,
daß es aber andererseits gerade gedankliche Operationen sind, die
unser Mißtrauen gegen den schönen Schein „zugkräftiger“ der Wahr-
nehmung dargebotener Beweisinstrumente wecken und uns dazu
anleiten, mit Hilfe anderer Wahrnehmungen und Indizien das Lü-
gengespinst zu zerreißen und zur Wahrheit selbst vorzudringen. Ge-
ständnisse können erzwungen, Zeugen bestochen, Urkunden ge-
fälscht sein und beweisen dann trotz aller inneren Einstimmigkeit
nicht, was sie beweisen sollen, weil sich die Mitteilungen nicht auf
Wahrnehmungen und Erinnerungen stützen, die mit der Wirklich-
keit selbst in Kontakt stehen. Aber um zu durchschauen, daß es mit
den Aussagen und Auskünften nicht seine Dichtigkeit hat, muß ich
schlußfolgernd ihre Beweiskraft zunichte machen, indem ich aus
„Hilfstatsachen“ die Unglaubwürdigkeit der Geständnisse und Aus-
sagen dartue oder mit Hilfe anderer Indizien, die mit diesen Teil-
geständnissen und erlogenen Aussagen unvereinbar sind, ihre Un-
haltbarkeit apagogisch begründe. Die Wirklichkeit kann nur auf
Wahrnehmungsdaten aufgebaut werden, aber die Wahrnehmungs-
daten ergeben auch nur bei Einstimmigkeit in toto die unverfälschte
und truglose Wirklichkeit.
C.
Die immer wieder betonte Notwendigkeit gedanklicher Ver-
arbeitung des Wahrnehmungsmaterials, die allerdings über die ge-
rade beim Indizienbeweis hervorgekehrte Einbeziehung dieses Ma-
terials in die Schlußformen weit hinausgeht und in jeder erfahrungs-
mäßigen, begrifflichen und urteilenden Formung der äußeren Wahr-
nehmungen und inneren Erlebnisse (s. oben S. 57) steckt,
leitet uns auf die letzte Frage hin, die im Bahmen der Lehre vom
 
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