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Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 5. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung: vorgelegt am 14.11.1942 — Heidelberg, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42030#0092
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)

92 Karl Engisch:
der Ungebühr unmittelbar auf dem äußeren Gesamteindruck ? Und
ist nicht umgekehrt schon die Feststellung des Wahrnehmungs-
inhalts als eines so beschaffenen geleitet von einer Vorstellung des-
sen, was ungebührliches Aussehen und Auftreten ist ? Ist aber der
Richter nicht selbst der Wahrnehmende, läßt er sich vielmehr über
einen Sachverhalt berichten, z. B. über die Geschwindigkeit, mit
der ein Auto gefahren ist, so wird ihm womöglich der Vorgang, den
er tatsächlich feststellen soll, mit eben den Worten beschrieben, die
bereits eine Subsumtion unter den in Frage kommenden gesetz-
lichen Tatbestand bedeuten (es wird ihm etwas vom Zeugen ge-
sagt: Der X ist mit seinem Auto „übermäßig schnell gefahren“;
vgl. § 366 Ziff. 2 StGB.). Wie kann man hier also Tatsachenfest-
stellung und Subsumtion trennen ?
An dieser Stelle also scheinen uns die eigentlichen Schwierig-
keiten der Trennung von Tat- und Rechtsfrage zu liegen. Und es ist
dies auch der Punkt, den etwa Radbruch trifft, wenn er auf die
Ununterscheidbarkeit sozialbegrifflicher Vorformung und rechts-
begrifflicher Würdigung hinweist. Denn die sozialbegriffliche Vor-
formung enthält eben solche Gleichsetzungen, wie die Subsumtion
unter die Begriffe des gesetzlichen Tatbestandes. Dagegen scheinen
mir die von Wehli und Mannheim angeführten Begründungen für
die Untrennbarkeit von Rechts- und Tatfrage nicht das Wesent-
liche hervorzuheben. Bei Wehli stößt man auf die bekannte und
auch von Mannheim mit Recht gerügte Verwechslung von Tatfrage
und Frage des Einzelfalles bzw. von Rechtsfrage und Frage von
allgemeiner Bedeutung. Daß eine Rechtsfrage nur unter Berück-
sichtigung aller Umstände des einzelnen Falles, ja vielleicht nur
auf Grund wahrnehmender Betrachtung der konkreten Umstände
gelöst werden kann, macht sie noch nicht zur Tatsachenfeststellung
und verquickt sie auch nicht mit dieser. Juristische Beurteilung
steckt eben nicht nur in der generell bedeutsamen Subordination,
sondern auch in der auf den Einzelfall bezüglichen Subsumtion.
Es ist ja auch leicht möglich, die konkrete Subsumtionsfrage zu
einer allgemeinen Rechtsfrage zu verarbeiten und dadurch als solche
sichtbarer zu machen, z. B. die Frage, ob in einem konkreten Falle
übermäßig schnell gefahren wurde, dadurch zu generalisieren, daß
man sie so formuliert: ist eine Geschwindigkeit von ca. 60 km auf
einer sehr belebten 10 m breiten Straße mit 2 m breitem Bürger-
steig, eine übermäßige Geschwindigkeit, wenn sich rechts und links
in Abständen von 20 bis 30 Metern Nebenstraßen befinden, aus
 
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