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Karl Engisch:
feststellimg trübt, wenn sie sich mit ihr vermischt. Bei Entschei-
dungen wie: „dies ist übermäßig schnell gefahren“, „dies ist ruhe-
störender Lärm“, „dies ist süß“, „dies ist schmerzhaft“ gehen Tat-
sachenfeststellung und Wertung Hand in Hand; ob diese Prädi-
kate „wirklich“ zutreffen, läßt sich nicht nur auf Grund von Wahr-
nehmungen und Schlußfolgerungen aus Wahrnehmungen ausma-
chen, sondern hierfür werden zugleich und unablösbar von der
Wahrnehmung und Tatsachenvorstellung Wertungsmomente maß-
geblich, die überdies durch subjektive Empfindlichkeit, persönliche
Nervosität und sonstige individuelle Komponenten bestimmt sind.
Welche Rolle Wertungen und gerade subjektive Wertungen bei der
Auslegung von Erklärungen und der Anwendung von General-
klauseln spielen, werden wir noch sehen. Kein Zweifel kann jeden-
falls daran bestehen, daß dort wo Tatsachenfeststellung und Wer-
tung eng verknüpft sind, eine reine Tatfrage sich nicht isolieren
läßt. Es erhebt sich aber die Frage, ob damit genau der Punkt
getroffen ist, der uns jetzt interessiert: die Verschlingung von Tat-
und Rechtsfrage als Verschlingung von Tatsachenfeststellung und
Subsumtion im Untersatz des juristischen Syllogismus. Wertun-
gen gibt es auch außerhalb der juristischen Subsumtion und juri-
stische Subsumtionen gibt es auch, ohne daß eigentliche Wertungen
vollzogen werden. Was das erste betrifft, so kann die juristische
Subsumtion auf Wertungen des Alltags aufbauen wie z. B. auf ärzt-
lichen Wertungen über die Schmerzhaftigkeit einer konkreten Ver-
letzung. Der Richter kann hier das Urteil des Arztes übernehmen,
das zugleich Tatsachenfeststellung und Wertung und wohl auch
Subsumtion unter soziale Wertbegriffe ist, aber noch nicht die
eigentliche juristische Subsumtion selbst enthält, die noch bedingt
ist durch Vergleiche mit anderen gesetzlichen Fällen. Jene Sub-
sumtion unter soziale Wertbegriffe, die sich allerdings auch mit der
Tatsachenfeststellung verschlingt, hat für die juristische Subsum-
tion nur vorbereitende Bedeutung und steht somit zwischen Tat-
und eigentlicher Rechtsfrage, verknüpft aber diese Fragen nicht un-
mittelbar. Umgekehrt gibt es Fälle, wo die gleichsetzende juristi-
sche Subsumtion keine Angelegenheit der Wertung, sondern der
Erfahrung ist und doch unlösliche Verknüpfung mit der Tatsachen-
feststellung besteht. So ist es m. E. nicht eine Frage vergleichender
Wertung, sondern vergleichender Nutzung der Erfahrung1, ob man
1 Daß Erfahrungssätze nicht nur bei der Tatsachenfeststellung (etwa auf
Grund von Indizien) sondern auch bei der subsumierenden Gleichsetzung eine
Karl Engisch:
feststellimg trübt, wenn sie sich mit ihr vermischt. Bei Entschei-
dungen wie: „dies ist übermäßig schnell gefahren“, „dies ist ruhe-
störender Lärm“, „dies ist süß“, „dies ist schmerzhaft“ gehen Tat-
sachenfeststellung und Wertung Hand in Hand; ob diese Prädi-
kate „wirklich“ zutreffen, läßt sich nicht nur auf Grund von Wahr-
nehmungen und Schlußfolgerungen aus Wahrnehmungen ausma-
chen, sondern hierfür werden zugleich und unablösbar von der
Wahrnehmung und Tatsachenvorstellung Wertungsmomente maß-
geblich, die überdies durch subjektive Empfindlichkeit, persönliche
Nervosität und sonstige individuelle Komponenten bestimmt sind.
Welche Rolle Wertungen und gerade subjektive Wertungen bei der
Auslegung von Erklärungen und der Anwendung von General-
klauseln spielen, werden wir noch sehen. Kein Zweifel kann jeden-
falls daran bestehen, daß dort wo Tatsachenfeststellung und Wer-
tung eng verknüpft sind, eine reine Tatfrage sich nicht isolieren
läßt. Es erhebt sich aber die Frage, ob damit genau der Punkt
getroffen ist, der uns jetzt interessiert: die Verschlingung von Tat-
und Rechtsfrage als Verschlingung von Tatsachenfeststellung und
Subsumtion im Untersatz des juristischen Syllogismus. Wertun-
gen gibt es auch außerhalb der juristischen Subsumtion und juri-
stische Subsumtionen gibt es auch, ohne daß eigentliche Wertungen
vollzogen werden. Was das erste betrifft, so kann die juristische
Subsumtion auf Wertungen des Alltags aufbauen wie z. B. auf ärzt-
lichen Wertungen über die Schmerzhaftigkeit einer konkreten Ver-
letzung. Der Richter kann hier das Urteil des Arztes übernehmen,
das zugleich Tatsachenfeststellung und Wertung und wohl auch
Subsumtion unter soziale Wertbegriffe ist, aber noch nicht die
eigentliche juristische Subsumtion selbst enthält, die noch bedingt
ist durch Vergleiche mit anderen gesetzlichen Fällen. Jene Sub-
sumtion unter soziale Wertbegriffe, die sich allerdings auch mit der
Tatsachenfeststellung verschlingt, hat für die juristische Subsum-
tion nur vorbereitende Bedeutung und steht somit zwischen Tat-
und eigentlicher Rechtsfrage, verknüpft aber diese Fragen nicht un-
mittelbar. Umgekehrt gibt es Fälle, wo die gleichsetzende juristi-
sche Subsumtion keine Angelegenheit der Wertung, sondern der
Erfahrung ist und doch unlösliche Verknüpfung mit der Tatsachen-
feststellung besteht. So ist es m. E. nicht eine Frage vergleichender
Wertung, sondern vergleichender Nutzung der Erfahrung1, ob man
1 Daß Erfahrungssätze nicht nur bei der Tatsachenfeststellung (etwa auf
Grund von Indizien) sondern auch bei der subsumierenden Gleichsetzung eine