Metadaten

Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 5. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung: vorgelegt am 14.11.1942 — Heidelberg, 1943

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42030#0096
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
96

Karl Engisch:

gesetzt werden. Es gibt auch andere unbestimmte Begriffe als
Wertungsbegriffe1, und manche Begriffe, die man als Wertungs-
begriffe anspricht, sind nicht unbestimmt oder lassen sich wenig-
stens auf bestimmte Begriffe zurückführen. Z. B. wird von Mann-
heim selbst der Geldwert einer Sache zu den Wertbegriffen gezählt.
Dieser Geldwert kann aber als „Preis“ ganz genau bestimmt sein;
man denke nur an den Buchhändlerpreis eines neuen Buches. Und
es ist lehrreich genug, daß hier Tat- und Rechtsfrage genau unter-
schieden werden können, weil sich nämlich hier der Wertbegriff auf
Grund des früher (S. 42 Anm. 5) Gesagten leicht in einen bestimmten
Tatsachenbegriff verwandeln läßt. Wenn der Diebstahl einer Sache
von „unbedeutendem Wert“ glimpflicher wegkommt, so ist es zwar
Rechtsfrage, ob ein bestimmtes Buch im Werte von RM. 4.— noch
einen „unbedeutenden Wert“ repräsentiert, dagegen klare Tatfrage,
ob der Preis des Buches „wirklich“ RM. 4.— beträgt. Denn dieser
Preis wird durch eine Willensentscheidung des Verlegers festgesetzt,
und diese Willensentscheidung als Faktum ist Gegenstand einer
Tatsachenfeststellung und nicht einer vergleichenden Subsumtion
an Hand des Gesetzes2.
Hier zeigt sich also bereits, auf welche Weise man es dahin
bringen kann, daß sich Tat- und Rechtsfrage voneinander unter-
scheiden lassen. Wenn der Gesetzgeber selbst genügend bestimmte
mit klaren Tatsachenbegriffen identifizierbare Begriffe gebraucht
oder wenn sich die unbestimmten Begriffe des Gesetzes im Wege
der Definition auf genügend bestimmte natürliche und realitäts-
bezogene Begriffe reduzieren, in solche „auflösen“ lassen, so treten
auch Tat- und Rechtsfrage klar auseinander. Wird die „Nachtzeit“
schon im Gesetz durch bestimmte Uhrzeiten festgelegt (§ 104 StPO.,
§ 188 ZPO.), so ist die Frage, ob es vor oder nach oder während des
fraglichen Zeitpunkts war, daß sich dieses oder jenes begab, reine
Tatfrage, während die Feststellung, daß die betreffende Uhrzeit die
vorn Gesetz vorausgesetzte ist, Subsumtion darstellt und zur Rechts-
frage gehört. Wenn sich allerdings etwas zwischen dem ersten und
letzten Schlag einer Uhr ereignete und sich nun der Zweifel erhebt,
ob es für die Frage „vorher“ oder „nachher“ auf den ersten oder
den letzten Schlag ankommt, so entsteht neuerlich eine Rechtsfrage.
Aber auch dann ist die Frage, wann das Ereignis stattfand,
1 Vgl. hierzu v. Kries, Logik S. 475, 596/97; Höfler, Logik, 2. Aufl.,
S. 524ff.; Schlick, Allg. Erkenntnislehre, 1925, S. 27/28, siehe auch oben S. 31.
2 Mannheim, S. 85/86; Schwinge, S. 117f.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften