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Karl Engisch:
von der Annahme auszugehen, daß ein Ereignis zwischen dem er-
sten und letzten Schlag von 9 Uhr stattgefunden hat („es schlug
gerade 9 Uhr, als . . .“), so ist Subsumtionsaufgabe die Lösung der
Frage, ob es auf den ersten oder den letzten Schlag ankommt. Wir
behaupten also nicht, daß die Subsumtionsfrage unbedingt vor der
Tatfrage und ganz unabhängig von ihr aufgeworfen werden müsse,
sondern nur, daß sich beide unter den angegebenen Bedingungen
logisch trennen lassen.
4. Darum darf uns auch nicht beirren, daß eventuell der klar
zur Rechtsfrage gehörige Vergleich des konkreten Falles mit den
gesetzlichen Fällen auf tatsächlichen Beobachtungen des konkreten
Einzelfalles aufbaut. Hat jemand die Sehschärfe bis auf 1/50 ein-
gebüßt, so werden wir vielleicht die Rechtsfrage, ob diese Herab-
minderung den Fällen des völligen Verlusts des Sehvermögens
gleichzuachten ist, am besten vollziehen angesichts des Verletzten
selbst, der uns vorführt, auf welche Entfernung er noch lesen kann,
wieweit er sich noch sicher im Raume bewegen kann usw. Auch
dann schlüpft nicht etwa ein Teil der Tatfrage in die Subsumtion
hinein, sondern die Wahrnehmungen, die an dem zu beurteilenden
Einzelfall gemacht werden, dienen hier nur als Erfahrungsmaterial
zur Lösung des Subsumtionsproblems.
Auf der anderen Seite lassen sich nun freilich Tatsachenfest-
stellung und Subsumtion dort nicht sauber trennen, wo der ge-
schilderte Rückgriff auf vorrechtliche einigermaßen bestimmte reali-
tätsbezogene Begriffe nicht gelingen will oder wenigstens praktisch
nicht in Frage kommt. Meist ist es dabei so, daß sich die gesetz-
lichen Begriffe nur in einem gewissen Umfang oder bis zu einem
gewissen Grade auf die geschilderte Weise ersetzen lassen. So läßt
sich der Begriff der „Mißhandlung“ im Wege der Subordination
oder Subsumtion zwar ersetzen durch die einigermaßen deutlichen
Tatsachenbegriffe „Schlag mit der Reitpeitsche ins Gesicht“ oder
„Ohrfeige“. Dagegen bedeutet die Unterordnung des „Stoßens“
bzw. die konkrete Subsumtion eines „Stoßes“ unter den Begriff der
„Mißhandlung“ keine Verwendung eines so präzisen Tatsachen-
begriffes, daß hier Tat- und Rechtsfrage klar auseinander treten.
Ob z. B. ein Sichplatzsehaffen im Gedränge mit dem Ellbogen so
empfindlich ausgefallen ist, daß von einem „Stoßen“ im Sinne einer
„Mißhandlung“ die Rede sein kann, diese Entscheidung bedeutet
zugleich Tatsachenfeststellung und Subsumtion; hier hilft uns dann
auch der unpräzise vorrechtliche Begriff des „Stoßes“ oder „Rip-
Karl Engisch:
von der Annahme auszugehen, daß ein Ereignis zwischen dem er-
sten und letzten Schlag von 9 Uhr stattgefunden hat („es schlug
gerade 9 Uhr, als . . .“), so ist Subsumtionsaufgabe die Lösung der
Frage, ob es auf den ersten oder den letzten Schlag ankommt. Wir
behaupten also nicht, daß die Subsumtionsfrage unbedingt vor der
Tatfrage und ganz unabhängig von ihr aufgeworfen werden müsse,
sondern nur, daß sich beide unter den angegebenen Bedingungen
logisch trennen lassen.
4. Darum darf uns auch nicht beirren, daß eventuell der klar
zur Rechtsfrage gehörige Vergleich des konkreten Falles mit den
gesetzlichen Fällen auf tatsächlichen Beobachtungen des konkreten
Einzelfalles aufbaut. Hat jemand die Sehschärfe bis auf 1/50 ein-
gebüßt, so werden wir vielleicht die Rechtsfrage, ob diese Herab-
minderung den Fällen des völligen Verlusts des Sehvermögens
gleichzuachten ist, am besten vollziehen angesichts des Verletzten
selbst, der uns vorführt, auf welche Entfernung er noch lesen kann,
wieweit er sich noch sicher im Raume bewegen kann usw. Auch
dann schlüpft nicht etwa ein Teil der Tatfrage in die Subsumtion
hinein, sondern die Wahrnehmungen, die an dem zu beurteilenden
Einzelfall gemacht werden, dienen hier nur als Erfahrungsmaterial
zur Lösung des Subsumtionsproblems.
Auf der anderen Seite lassen sich nun freilich Tatsachenfest-
stellung und Subsumtion dort nicht sauber trennen, wo der ge-
schilderte Rückgriff auf vorrechtliche einigermaßen bestimmte reali-
tätsbezogene Begriffe nicht gelingen will oder wenigstens praktisch
nicht in Frage kommt. Meist ist es dabei so, daß sich die gesetz-
lichen Begriffe nur in einem gewissen Umfang oder bis zu einem
gewissen Grade auf die geschilderte Weise ersetzen lassen. So läßt
sich der Begriff der „Mißhandlung“ im Wege der Subordination
oder Subsumtion zwar ersetzen durch die einigermaßen deutlichen
Tatsachenbegriffe „Schlag mit der Reitpeitsche ins Gesicht“ oder
„Ohrfeige“. Dagegen bedeutet die Unterordnung des „Stoßens“
bzw. die konkrete Subsumtion eines „Stoßes“ unter den Begriff der
„Mißhandlung“ keine Verwendung eines so präzisen Tatsachen-
begriffes, daß hier Tat- und Rechtsfrage klar auseinander treten.
Ob z. B. ein Sichplatzsehaffen im Gedränge mit dem Ellbogen so
empfindlich ausgefallen ist, daß von einem „Stoßen“ im Sinne einer
„Mißhandlung“ die Rede sein kann, diese Entscheidung bedeutet
zugleich Tatsachenfeststellung und Subsumtion; hier hilft uns dann
auch der unpräzise vorrechtliche Begriff des „Stoßes“ oder „Rip-