Die gegenwärtige Lutherforschung hat teils auf Grund neuer
Funde, zu denen an erster Stelle der Kommentar Luthers zum
Römerbriefe von 1515 und der zum Hebräerbriefe von 15171 ge-
hören, teils durch Vertiefung in altes Gedankengut von neuen Frage-
stellungen aus2 einen Begriff in den Mittelpunkt gerückt, der, zwar
längst in Verwendung bei ihm bekannt, bisher an die Peripherie
geschoben, wenn nicht gar als Fremdkörper in der reformatorischen
Botschaft empfunden wurde3: deus absconditus. Unschwer ließ
sich der Aufbau der Gedankenwelt Luthers von hier aus gegen-
wärtig machen4. Aber die Frage nach den Ursprüngen dieses be-
ziehungsreichen Begriffes ist bisher kaum gestellt worden. Wohl
die nach ihren Ursprüngen, ihrem ersten Auftauchen und Sich-Aus-
wachsen bei Luther -— man legt auf etwa 1513/14 fest — im übrigen
wurde, wenn der Blick überhaupt in diese Richtung fiel, an die
Theologie und Philosophie des Nominalismus, insbesondere des
Occamismus, dessen Schüler Luther war, erinnert. Wird man nicht
weiter greifen müssen ? Der Begriff und sein Inhalt sind auf jeden
Fall älter, es erhebt sich die Frage, ob Luthers Verwertung des-
selben in einen größeren gedanklichen Zusammenhang gestellt wer-
den kann, Glied, vielleicht neues Glied in einer Traditionskette ist.
1 Weimarer Lutherausgabe, Bd. 56 u. 57 (1938, 1939).
2 Hier ist an erster Stelle zu nennen der noch heute durch seinen Ge-
dankenreichtum aufschlußreiche Aufsatz von F. Kattenbusch: Deus abscon-
ditus bei Luther (Festgabe für D. Dr. Julius Kaftan 1920, S. 17(1—214).
K. gibt die ältere Literatur an. Aus der neueren Literatur sei genannt:
W. von Loewenich: Luthers theologia crucis 1929 (hier am Schluß ein reiches
Literaturverzeichnis).; E. Vogelsang: Die Anfänge von Luthers Christologie,
1929. Ders.: Der angefochtene Christus bei Luther, 1932.
3 Z. B. bei A. Ritschl: Geschichtliche Studien zur christlichen Lehre
von Gott (Gesammelte Aufsätze, N. F. 1896, S. 66, 76ff., 83f.: „Wie und wo-
durch ist Luther zu diesem Fehlgriffe gekommen . . . ? Durch die Nachwirkung
der nominalistischen Schulbildung auf den Reformator.“
4 Vgl. meine Dogmengeschichte, 2. Aufl. 1943, S. 359ff. Th. Harnack:
Luthers Theologie I, 1862, S. 112.
Funde, zu denen an erster Stelle der Kommentar Luthers zum
Römerbriefe von 1515 und der zum Hebräerbriefe von 15171 ge-
hören, teils durch Vertiefung in altes Gedankengut von neuen Frage-
stellungen aus2 einen Begriff in den Mittelpunkt gerückt, der, zwar
längst in Verwendung bei ihm bekannt, bisher an die Peripherie
geschoben, wenn nicht gar als Fremdkörper in der reformatorischen
Botschaft empfunden wurde3: deus absconditus. Unschwer ließ
sich der Aufbau der Gedankenwelt Luthers von hier aus gegen-
wärtig machen4. Aber die Frage nach den Ursprüngen dieses be-
ziehungsreichen Begriffes ist bisher kaum gestellt worden. Wohl
die nach ihren Ursprüngen, ihrem ersten Auftauchen und Sich-Aus-
wachsen bei Luther -— man legt auf etwa 1513/14 fest — im übrigen
wurde, wenn der Blick überhaupt in diese Richtung fiel, an die
Theologie und Philosophie des Nominalismus, insbesondere des
Occamismus, dessen Schüler Luther war, erinnert. Wird man nicht
weiter greifen müssen ? Der Begriff und sein Inhalt sind auf jeden
Fall älter, es erhebt sich die Frage, ob Luthers Verwertung des-
selben in einen größeren gedanklichen Zusammenhang gestellt wer-
den kann, Glied, vielleicht neues Glied in einer Traditionskette ist.
1 Weimarer Lutherausgabe, Bd. 56 u. 57 (1938, 1939).
2 Hier ist an erster Stelle zu nennen der noch heute durch seinen Ge-
dankenreichtum aufschlußreiche Aufsatz von F. Kattenbusch: Deus abscon-
ditus bei Luther (Festgabe für D. Dr. Julius Kaftan 1920, S. 17(1—214).
K. gibt die ältere Literatur an. Aus der neueren Literatur sei genannt:
W. von Loewenich: Luthers theologia crucis 1929 (hier am Schluß ein reiches
Literaturverzeichnis).; E. Vogelsang: Die Anfänge von Luthers Christologie,
1929. Ders.: Der angefochtene Christus bei Luther, 1932.
3 Z. B. bei A. Ritschl: Geschichtliche Studien zur christlichen Lehre
von Gott (Gesammelte Aufsätze, N. F. 1896, S. 66, 76ff., 83f.: „Wie und wo-
durch ist Luther zu diesem Fehlgriffe gekommen . . . ? Durch die Nachwirkung
der nominalistischen Schulbildung auf den Reformator.“
4 Vgl. meine Dogmengeschichte, 2. Aufl. 1943, S. 359ff. Th. Harnack:
Luthers Theologie I, 1862, S. 112.