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Panzer, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1949/50, 2. Abhandlung): Vom mittelalterlichen Zitieren — Heidelberg, 1950

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https://doi.org/10.11588/diglit.42217#0026
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Friedrich Panzer

Von besonderem Interesse ist, daß die läßliche Art, die wir für
alles Zitieren und das Zitatähnliche im Bereiche der Dichtung fest-
gestellt haben, auch in Schriftstücken aus dem praktischen Leben,
im Bereiche der Urkunden, das Wort im weitesten Sinne genom-
men, sich feststellen läßt.
Ich darf das wieder an einem konkreten Falle erläutern, indem
ich zwei sehr bedeutsame und demgemäß bekannte Dokumente aus
dem 11. Jahrhundert heranziehe. Um die Wende der Jahre 1075/76
trieb das lange schon peinlich getrübte Verhältnis zwischen König
Heinrich IV. und Papst Gregor VII. dem völligen Bruche zu. Auf
der Reichssynode, die am 24. Januar 1076 in Worms zusammentrat,
wagte der König den allzu kühnen Schritt: er betrieb und erreichte
die Absetzung des Papstes, indem ihm gelang, die zahlreich ver-
sammelten Reichsbischöfe zur Obedienzaufsage gegen den Papst
zu bewegen. In einem ausführlichen Schreiben an Gregor, das an
Deutlichkeit und Schärfe nichts zu wünschen übrig ließ — seine
Überschrift schon lautete: Heinricus non usurpative, sed pia dei
ordinatione rex Hildebrando iam non apostolico, sed falso monacho
,,Heinrich, nicht durch rechtswidrige Anmaßung, sondern durch
Gottes heilige Verordnung König an Hildebrand, den Expapst und
falschen Mönch — in diesem Schreiben wird Gregor aufgefordert,
herabzusteigen vom päpstlichen Stuhle, da er sich ebenso an der
Kirche und den Bischöfen, wie am König, dem Gesalbten des Herrn,
versündigt habe; mit dem berühmten ,,Descende, descendel“ schließt
wirkungsvoll der leidenschaftliche Brief.
Der Brief ward von den Abgesandten des Königs dem Papste
auf der Fastensynode in Rom am 14. Februar 1076 überreicht. Seine
Verlesung erregte dort einen derartigen Sturm des Unwillens, daß
die königlichen Gesandten schwer mißhandelt wurden und wohl
das Lehen verloren hätten, wenn Gregor sie nicht geschützt hätte.
Das ist alles bekannt und in guter Ordnung. Merkwürdig aber ist,
daß Bruno, der in seiner Chronik De hello saxonieo von den Ereig-
nissen spricht und diesen Brief im vollen Wortlaute mitteilt, ihm
einen zweiten Brief, wieder im Wortlaute vorausgehen läßt, den der
König in gleicher Sache an die Römer richtete. Bruno äußert sich
nicht über das Verhältnis dieser beiden Schriftstücke; es kann aber
kein Zweifel sein, daß er sie als gleichzeitig nach Rom abgesandt
dachte. Heinrich fordert die Römer in diesem zweiten Briefe auf,
ihm als seine Freunde im Kampfe gegen seinen Feind, den Mönch
Hildebrand, beizustehen; sie sollen ihn zwingen, von seinem Throne
 
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