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Panzer, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1949/50, 2. Abhandlung): Vom mittelalterlichen Zitieren — Heidelberg, 1950

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https://doi.org/10.11588/diglit.42217#0029
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Vom mittelalterlichen Zitieren

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sieht sich in der Frühzeit der Urkundenfälscher durch die Volks-
gesetze mit Verlust des Daumens oder der Hand bedroht, in nach-
karolingischer Zeit aber verlautet nichts mehr davon, und wir er-
fahren nicht, daß Pilgrim etwa eine Rüge des Papstes erhalten
hätte, wenn er der Kurie Beweisstücke vorlegte, deren Unechtheit
sie durchschaute. Erst unter Innozenz III. ergehen Warnungen
und Anweisungen, die schon wie Anläufe zu einer Urkundenlehre
anmuten. Das Erstaunliche mag sich auch daraus mit erklären, daß
die Urkunde den Germanen von Hause aus völlig fremd und erst
von Rom her aufgedrängt war. In der Tat hört ja die Ausstellung
von Urkunden für Rechtsgeschäfte der Uaien vom Ende des 10. bis
ins 13. Jahrhundert fast völlig auf, da man in ihrem Kreise, der
nicht lesen noch schreiben konnte, der Magie eines Schriftbeweises
mißtraute und den Zeugenbeweis vorzog, so vergänglich seine Aus-
wirkung mit dem Absterben der Zeugen sein mußte. In der Wirt-
schaft der großen geistlichen Anstalten ward die Urkunde durch die
Traditionsnotiz und allmählich protokollarisch geführte Traditions-
codices ersetzt. Das gab leicht subjektiver Willkür Raum, da die
Aufzeichnung ja nur von der einen Partei für ihre Sonderzwecke
erfolgte und sich der Kontrolle des Gegenpartes vollkommen entzog.
Dazu geht die Sorglosigkeit bei der Überlieferung der Traditions-
notizen in den kopialen Traditionscodices auch hier so weit, daß
nicht einmal die Zeugenreihen richtig wiedergegeben werden; vgl.
0. v. Mitis, Studien zum älteren Österr. Urkundenwesen 1906,
S. 30ff.
Was hier für den Bereich sprachlicher Gestaltung festgestellt
wurde, kehrt im Bereiche kunstgeschichtlicher Überlieferung gleich-
sinnig wieder.
Am überzeugendsten läßt das dort sich zeigen, wo die beiden
Bezirke Hand in Hand hervortreten, das heißt im Bereiche der
Illustration. Wie der Text eines dichterischen oder prosaischen
Sprachwerkes im Mittelalter nur durch Abschreiben von Exemplar
zu Exemplar vervielfältigt werden konnte, da noch keine Möglich-
keit mechanischer Wiedergabe erfunden war, so gilt Gleiches für
die illustrierten Hss. Demgemäß treten auch sie wie die reinen Text-
schriften zu Kreisen zusammen und ermöglichen infolge häufiger
Übereinstimmung in Ungenauigkeiten der Nachbildung die Auf-
stellung von Stammbäumen. Denn auch von den Bildern gilt das-
selbe wie vom Texte: das Mittelalter weiß nichts von einer Verpflich-
 
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