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Campenhausen, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1952, 4. Abhandlung): Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab — Heidelberg, 1952

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https://doi.org/10.11588/diglit.42315#0018
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Hans Fuhr. v. Campenhausen

Die nachträgliche Berufung des Paulus steht für sich. Sie ist,
wie er seihst betont, die letzte Erscheinung gewesen, und eigentlich
eine Ungeheuerlichkeit. Wahrscheinlich hat Paulus hierbei nicht nur
dies im Auge, daß sie einem wütenden Verfolger zuteil wurde, der
mit einem Mal durch sie herumgeworfen und zum Apostel erhoben
wurde, sondern er denkt auch an das Verspätete, in jeder Hinsicht
Unvermutete dieses Geschehnisses in einer Zeit, da die Kirche be-
reits gegründet war und weitere Erscheinungen nicht mehr zu er-
warten standen. Für sein eigenes Urteil hat freilich auch diese Er-
wählung einen kirchen- und heilsgeschichtlichen Sinn. Denn Pau-
lus verstand sich nicht als einen Apostel, der die schon begonnene
Verkündigung lediglich weiterführen sollte, sondern als den Apo-
stel der Heidenvölker schlechthin, und hat mit diesem universalen
Verständnis seines Auftrags tatsächlich Epoche gemacht.
Aus den seither verstrichenen etwa zwei Jahrzehnten sind Pau-
lus keine weiteren Christuserscheinungen bekannt geworden. Al-
lem Anschein nach hält er die Reihe für abgeschlossen45 — enthu-
siastische Erlebnisse und „Visionen“ stehen für ihn auf einem an-
deren Blatt. Daß die Aufzählung der Christuserscheinungen, so
wie er sie gegeben hat, vollständig sein will, ist vorauszusetzen;
d. h. Paulus nennt hier sämtliche zuverlässigen Zeugnisse und Zeu-
gen, von denen er weiß. Die Liste kann natürlich trotzdem lücken-
haft sein; es kann sein, daß es noch weitere Osterbegegnungen ge-
geben hat, von denen Paulus nicht wußte, weil sie nicht zur Stan-
dard-Überlieferung gehörten, oder auch, weil sie ihm im Augenblick
der Niederschrift nur nicht gegenwärtig waren. Aber Anzeichen,
die dies besonders wahrscheinlich machen könnten, gibt es nicht46.
Das weitaus meiste von dem, was in dieser Hinsicht über die pau-
linische Überlieferung hinaus schon in den kanonischen und voll-
ends in den apokryphen Evangelien erzählt wird, muß als legenda-
rische Wucherung angesehen werden und hat auf geschichtliche
Glaubwürdigkeit keinen Anspruch.
45 Das ergibt sich schon aus dem έσχατον δέ πάντων, vielleicht auch aus dem
umstrittenen Begriff des έκτρωμα; vgl. über dessen Auslegungsmöglichkeiten J.
Schneider, Kittels Tlieol. Wörterb. z. N.T. 2 (1935) 463. Mir scheint nach wie vor
wahrscheinlich, daß Paulus das Wort in einer speziellen und krassen Bedeutung
(„unzeitige Geburt“) verwendet, die in der literarischen Überlieferung begreifli-
cherweise nicht mehr zu fassen ist. Doch scheint heute die Neigung vorzuwalten,
das Wort mit G. Björck, Coniect. Neotest. 3 (1938) 3ff. im Sinne eines ganz
allgemeinen Schimpfwortes („Scheusal von Geburt an“) zu verstehen.
46 Vgl. hierzu auch die Bemerkung Bruns S. 39 (und S. 65) über die große Einfach-
heit des alten „Schemas“, in das die Auferstehungsgeschichten jeweils gefaßt seien.
 
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