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Campenhausen, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1952, 4. Abhandlung): Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab — Heidelberg, 1952

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https://doi.org/10.11588/diglit.42315#0029
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Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab

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priesters, dem er zum handgreiflichen Erweis des Auferstanden-
seins selber das leinene Grabtuch überreicht92.
In all diesen Berichten spiegelt sich die Diskussion der Christen
mit ihren Gegnern wieder. Sie erweist sich als ein überaus wirksa-
mes, die alte Überlieferung gestaltendes und immer stärker auch
umgestaltendes Moment93. Diese Tendenz ist nicht nur bei Mat-
thäus und in den apokryphen Evangelien, sondern auch im Johan-
nes-Evangelium am Werk; hier ist sie bisher nur weit weniger be-
merkt und beachtet worden. Eines ist unter diesem Gesichtspunkt
freilich schon Chrysostomos aufgefallen94: der ausführliche Be-
richt über die Lagerung des Grabtuchs und des für sich gelegten,
aufgerollten Schweißtuchs ist augenscheinlich als Beweis dafür zu
nehmen, daß Jesu Leib nicht gestohlen sein konnte95. Niemand, der
einen Leichnam fortschaffen will, packt ihn erst sorgsam aus, um
ihn nackt davonzutragen96. Diese Nachricht liegt also auf derselben
Linie, die dann im Hebräerevangelium bis ins Läppische über-
steigert wird.
Aber Johannes begnügt sich nicht nur mit solchen Andeutun-
gen. Er hat die Ostergeschichten mit großer Freiheit neu gestal-
tet und kümmert sich dabei nur selten um ältere Traditionen;
aber auf den Verdacht des Leichenraubs kommt er gleichfalls in
unüberhörbarer Weise zu sprechen und widerlegt ihn dann um so
wirksamer. Als Maria Magdalena am frühen Ostermorgen das Grab
leer findet, ist dies ihr erster Gedanke: „Man hat den Herrn aus dem
Grabmal entfernt, und wir wissen nicht, wo man ihn hingetan
hat“97. Sie wiederholt diese Klage, als sie die beiden Engel in lich-
ten Gewändern gewahr wird, die zu Häupten und zu Füßen der
92 Hier., vir. ill. 2: euangelium quoque, quod appellatur secundum Hebraeos. . .
post resurrectionem saluatoris refert: „dominus autem, cum dedisset sindonem
seruo sacerdotis, iuit ad Iacobum et apparuit ei. . .“ Die Frage wie Jesus selbst zu
neuen Kleidern gekommen sei, drückt hier nocli nicht; vgl. aber Theodoret (?)
= Ps. Justin, Quaest. ortbod. 116.
93 Natürlich kommen für die Entwicklung auch noch andere, wesentliche Motive
in Betracht, auf die aber hier jetzt nicht einzugehen ist.
94 Horn. Mt. 90 (91), 2; hom. Joh. 85 (84), 4.
95 Joh. 20, 5—7; ähnlich der interpolierte Vers Lk. 24, 12.
96 Vgl. hierzu auch das koptische Evangelium der zwölf Apostel, frg. 15 bei
Graffin et Nau, Patr. or. II, 2 (1907) 172: Pilate dit: 0 hommes, qui detestez votre
propre vie, si on avait pris le corps, (on aurait pris) les bandelettes aussi. . .“
97 Joh. 20, 2.
 
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