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Hans Frhr. v. Campenhausen
erstanden ist. Eine solche Deutung ist nicht unmöglich113, aher an-
gesichts der sonstigen Haltung des Evangeliums doch recht unwahr-
scheinlich. Soweit wir sehen können, setzt sich Markus noch nicht
mit den christologischen Spekulationen der „Gnostiker“ auseinander.
Darum liegt es näher, an dieser Stelle mit massiveren Einwendun-
gen zu rechnen: Jesus war wirklich tot, d. h. er wurde nicht vor-
zeitig, etwa als Scheintoter, vom Kreuz heruntergeholt114, und das
spätere Verschwinden seines Leihes läßt sich von hier aus nicht er-
klären. Wir wissen freilich nichts davon, daß ein derartiger Ge-
danke sich schon in so früher Zeit jemals gemeldet hätte115. Aber
angesichts des schnellen Verscheidens Jesu ist es nicht ausgeschlos-
sen, daß er trotzdem geäußert worden ist. Wir hätten es in diesem
Falle dann also ebenfalls schon mit einer gewissen Abwehr gegen-
über skeptischen, rein „natürlichen“ Erklärungen des Todes Jesu
zu tun, die auf der Linie der späteren jüdischen Polemik lägen.
Aber dies mag auf sich beruhen bleiben. Viel wichtiger ist, daß
auch der letzte, schwierige Vers des Evangeliums vielleicht von
hier aus beleuchtet und verstanden werden kann. Er ist ja die ei-
gentliche Crux interpretum, für die eine brauchbare Erklärung noch
aussteht. Die Frauen haben das leere Grab entdeckt; aber obgleich
sie sich von dieser Tatsache unmißverständlich überzeugt haben
und ein wunderbarer Jüngling sie über den Sinn des Geschehenen
aufgeklärt und dazu noch einen bestimmten Auftrag erteilt hat,
können sie, von Furcht und Schrecken befallen, mit dieser Erkenntni-
nichts anfangen und führen den himmlischen Befehl nicht aus; sie
sagen von dem Geschauten und Gehörten „niemand ein Wort“.
Diese Behauptung ist, wie wir früher betont haben, so unwahrschein-
lich wie möglich. Aber angesichts der jüdischen Verleumdungen,
wie wir sie etwa aus dem Matthäusevangelium kennen, gewinnt
eine solche Feststellung trotzdem mit einem Mal einen verständ-
lichen, apologetischen Sinn. Die Jünger, will der Evangelist sagen,
hatten mit dem leeren Grabe überhaupt nichts zu tun. So wie sie
schon bei der Beisetzung tatsächlich nicht beteiligt waren, so ha-
ben sie auch später bei dem, was hier erfahren wurde, ihre Hände
113 S. o. Anm. 48.
114 Finegan S. 80; M. Goguel, Les sources du recit johannique de la passion
(1910) 101 f. möchte nach das Motiv der Salbung bei Johannes 19. 40 entsprechend
deuten.
115 Von ferne taucht die Frage des Scheintodes bei Theodoret (?) auf = Ps.
Justin, Quaest,. orth. 64; vgl. Bauer, Leben Jesu S. 483f. Über moderne Schein-
todhypothesen s. A. Meyer S. 116(T.; Goguel, Foi S. 205ff.
Hans Frhr. v. Campenhausen
erstanden ist. Eine solche Deutung ist nicht unmöglich113, aher an-
gesichts der sonstigen Haltung des Evangeliums doch recht unwahr-
scheinlich. Soweit wir sehen können, setzt sich Markus noch nicht
mit den christologischen Spekulationen der „Gnostiker“ auseinander.
Darum liegt es näher, an dieser Stelle mit massiveren Einwendun-
gen zu rechnen: Jesus war wirklich tot, d. h. er wurde nicht vor-
zeitig, etwa als Scheintoter, vom Kreuz heruntergeholt114, und das
spätere Verschwinden seines Leihes läßt sich von hier aus nicht er-
klären. Wir wissen freilich nichts davon, daß ein derartiger Ge-
danke sich schon in so früher Zeit jemals gemeldet hätte115. Aber
angesichts des schnellen Verscheidens Jesu ist es nicht ausgeschlos-
sen, daß er trotzdem geäußert worden ist. Wir hätten es in diesem
Falle dann also ebenfalls schon mit einer gewissen Abwehr gegen-
über skeptischen, rein „natürlichen“ Erklärungen des Todes Jesu
zu tun, die auf der Linie der späteren jüdischen Polemik lägen.
Aber dies mag auf sich beruhen bleiben. Viel wichtiger ist, daß
auch der letzte, schwierige Vers des Evangeliums vielleicht von
hier aus beleuchtet und verstanden werden kann. Er ist ja die ei-
gentliche Crux interpretum, für die eine brauchbare Erklärung noch
aussteht. Die Frauen haben das leere Grab entdeckt; aber obgleich
sie sich von dieser Tatsache unmißverständlich überzeugt haben
und ein wunderbarer Jüngling sie über den Sinn des Geschehenen
aufgeklärt und dazu noch einen bestimmten Auftrag erteilt hat,
können sie, von Furcht und Schrecken befallen, mit dieser Erkenntni-
nichts anfangen und führen den himmlischen Befehl nicht aus; sie
sagen von dem Geschauten und Gehörten „niemand ein Wort“.
Diese Behauptung ist, wie wir früher betont haben, so unwahrschein-
lich wie möglich. Aber angesichts der jüdischen Verleumdungen,
wie wir sie etwa aus dem Matthäusevangelium kennen, gewinnt
eine solche Feststellung trotzdem mit einem Mal einen verständ-
lichen, apologetischen Sinn. Die Jünger, will der Evangelist sagen,
hatten mit dem leeren Grabe überhaupt nichts zu tun. So wie sie
schon bei der Beisetzung tatsächlich nicht beteiligt waren, so ha-
ben sie auch später bei dem, was hier erfahren wurde, ihre Hände
113 S. o. Anm. 48.
114 Finegan S. 80; M. Goguel, Les sources du recit johannique de la passion
(1910) 101 f. möchte nach das Motiv der Salbung bei Johannes 19. 40 entsprechend
deuten.
115 Von ferne taucht die Frage des Scheintodes bei Theodoret (?) auf = Ps.
Justin, Quaest,. orth. 64; vgl. Bauer, Leben Jesu S. 483f. Über moderne Schein-
todhypothesen s. A. Meyer S. 116(T.; Goguel, Foi S. 205ff.