Metadaten

Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1956, 4. Abhandlung): Horaz und die Politik — Heidelberg, 1956

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42325#0010
License: In Copyright
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
10

Viktor Pöschl

innerhalb dieses Bereichs geltenden Formen und Spielregeln auch dann
fügt, wenn sie der persönlichen Überzeugung nicht entsprechen. Die Kraft,
die die Tradition bei den Römern hat, beruht nicht zuletzt darauf, daß der
einzelne seine private Meinung in dem Augenblick zurückzustellen bereit
ist, wo er ein sakrales oder politisches Amt übernimmt oder in öffent-
lichem Auftrag handelt, wie es der „Seher“ Horaz tut. Dann wird das, was
er sagt, von überpersönlichen Formen und Ideen bestimmt. Und er kann
dies um so leichter tun, als man in Rom zwischen privatem und öffent-
lichem Bereich in einem Ausmaß zu unterscheiden fähig und bereit ist, das
uns fremd ist. Das Gefühl von dem „Spielcharakter“ der Politik (im Sinne
von Huizingas „Homo ludens“) geht hier nicht so leicht verloren. Auch der
seltsame Widerspruch zwischen römischer und philosophischer Gottesauf-
fassung in Ciceros De Natura Deorum ist von hier aus zu begreifen, wo
Aurelius Cotta sich als römischer Pontifex zu den staatlich sanktionierten
Formen der Gottesverehrung und ihren glaubensmäßigen Voraussetzungen
bekennt und doch eben dieser Götterverehrung durch seine philosophische
Stellungnahme den Boden entzieht. Christliche Autoren wie Minucius
Felix und Augustin (De vera religione) haben an solcher Zweigeleisigkeit
mit Recht Anstoß genommen28. Charakteristisch für die Autonomie der
Bereiche ist ferner das Verhalten politischer Gegner in Rom. Erbitterte
Feinde, die sich aufs leidenschaftlichste bekämpfen, können, sobald sie die
politische Sphäre mit der privaten vertauschen, die besten Freunde sein,
und das Merkwürdige ist, daß beides echt ist: die Feindschaft wie die
Freundschaft. Es ist irreführend, hier von Heuchelei, Unaufrichtigkeit,
Wankelmut zu reden. Wohl aber haben wir es mit Äußerungen südlichen
Temperaments, südlicher Menschlichkeit und Verwandlungskraft zu tun, der
Gabe, eine Rolle nicht nur zu spielen, sondern sich mimisch in sie zu verwan-
deln. So manches zwiespältige und widerspruchsvolle Verhältnis zwischen
römischen Politikern, wie es zum Beispiel im Briefwechsel Ciceros immer
wieder begegnet, Freundschaften politischer Gegner und Feindschaften poli-
tischer Freunde, sind von hier aus zu verstehen. Mit einiger Übertreibung
könnte man sagen: ohne Don Camillo und Peppone lassen sich diese römi-
schen Dinge nicht ganz begreifen. Auch das Problem der Aufrichtigkeit der
politischen Gedichte des Horaz muß in diesem Lichte gesehen werden.
Schließlich darf man nicht vergessen, daß das Leben vielschichtig ist29,
daß es sich aul mehreren Ebenen in ständigen Verwandlungen vollzieht,
die natürlicher, echter und sogar aufrichtiger sein können als starre Kon-
stanz30. Die Spannung zwischen politischem und persönlichem Bereich in
Leben und Dichtung des Horaz ist ein Ausdruck der Vielfalt seines
Wesens wie die Spannung zwischen Pathetik und Ironie, die seinen Stil
bestimmt, zwischen erhabenen und prosanahen Dichtungsformen, deren er
sich bedient.
Bevor wir nun diesen Gegensatz innerhalb der horazischen Dichtung
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften