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Viktor Pöschl
Drangsalen der Zeit Trost und Heilung spenden. Julius Caesar Scaliger
spricht ganz im Sinne des Horaz, wenn er die Heilung von den Sorgen als
die Aufgabe der Dichtung bezeichnet: Quid enim aliud curae sunt quam
irritamenta mortis? Hae cantu tolluntur.
Hat sich der Blick für diese Seiten der horazischen Dichtung einmal
geöffnet, dann ergeben sich neue Einsichten auch für die Beurteilung der
Römeroden. Die erste Ode weist eine ganz ähnliche Bewegung auf wie die
früher erwähnten Lieder: Vom Bereich des Politischen weg zum persön-
lichen Bereich der Freiheit und des Friedens. Sie beginnt nach der Einlei-
tungsstrophe mit einem Blick auf jenen furchtbaren Aspekt der Gottheit,
der alle menschliche Macht fragwürdig macht. Der Gewalt Jupiters steht
die Ohnmacht selbst der Mächtigsten dieser Erde gegenüber, die in beson-
derem Maße von der necessitas des Todes gefährdet und von dem Versin-
ken in Sünde und Schuld (impia cervice) bedroht scheinen60. In lucrezischer
Weise werden die Sorgen und Ängste der Mächtigen, und das heißt auch
der Mächtigen Roms enthüllt: Viel Land kannst du besitzen, durch Ruhm
und politische Macht glänzen, sterben mußt du doch und timor und cura
schweben wie das Schwert des Damokles über dir, vergiften dir alle
Genüsse und rauben dir den Schlaf. Es ist sinnvoll, daß hier auch die
Cura, die gerade die Mächtigen verfolgt, aus der Ode Otium divos (c. 2, 16)
wieder erscheint61. Gegen diese Welt der Macht setzt Horaz die kleine Welt
ländlicher Abgeschiedenheit und paupertas, die mit unverkennbar epi-
kureischen Farben gezeichnet ist. Es ist die Welt des Dichters selbst, sein
Ideal, wie der Schluß zeigt:
quid valle permutem Sabina
divitias operosiores?
Der Zyklus der Römeroden beginnt also mit einem Gedicht, der die
Macht entwertet und das Lob des epikureischen Daseins singt, und das ist
für den modernen Betrachter so erstaunlich, daß man zu verschiedenen
Hypothesen gegriffen hat, um den Sachverhalt, den man offensichtlich als
anstößig empfand, zu mildern62.
Auch die 2. Römerode bringt die Wendung nach innen. Zunächst be-
singt sie die virtus im Kriege, wobei das „dulce et decorum est pro patria
mori“ auch auf die Unterlegenen von Philippi bezogen werden darf63, die
Horaz in dem Pompeiusgedicht 0 saepe me cum ehrenvoll nennt (c. 2,7,11):
cum fracta virtus.
Mit plötzlicher Wendung ist aber nicht mehr von militärischer Bewäh-
rung, sondern von einer andern virtus die Rede, die folgendermaßen ge-
kennzeichnet wird:
Viktor Pöschl
Drangsalen der Zeit Trost und Heilung spenden. Julius Caesar Scaliger
spricht ganz im Sinne des Horaz, wenn er die Heilung von den Sorgen als
die Aufgabe der Dichtung bezeichnet: Quid enim aliud curae sunt quam
irritamenta mortis? Hae cantu tolluntur.
Hat sich der Blick für diese Seiten der horazischen Dichtung einmal
geöffnet, dann ergeben sich neue Einsichten auch für die Beurteilung der
Römeroden. Die erste Ode weist eine ganz ähnliche Bewegung auf wie die
früher erwähnten Lieder: Vom Bereich des Politischen weg zum persön-
lichen Bereich der Freiheit und des Friedens. Sie beginnt nach der Einlei-
tungsstrophe mit einem Blick auf jenen furchtbaren Aspekt der Gottheit,
der alle menschliche Macht fragwürdig macht. Der Gewalt Jupiters steht
die Ohnmacht selbst der Mächtigsten dieser Erde gegenüber, die in beson-
derem Maße von der necessitas des Todes gefährdet und von dem Versin-
ken in Sünde und Schuld (impia cervice) bedroht scheinen60. In lucrezischer
Weise werden die Sorgen und Ängste der Mächtigen, und das heißt auch
der Mächtigen Roms enthüllt: Viel Land kannst du besitzen, durch Ruhm
und politische Macht glänzen, sterben mußt du doch und timor und cura
schweben wie das Schwert des Damokles über dir, vergiften dir alle
Genüsse und rauben dir den Schlaf. Es ist sinnvoll, daß hier auch die
Cura, die gerade die Mächtigen verfolgt, aus der Ode Otium divos (c. 2, 16)
wieder erscheint61. Gegen diese Welt der Macht setzt Horaz die kleine Welt
ländlicher Abgeschiedenheit und paupertas, die mit unverkennbar epi-
kureischen Farben gezeichnet ist. Es ist die Welt des Dichters selbst, sein
Ideal, wie der Schluß zeigt:
quid valle permutem Sabina
divitias operosiores?
Der Zyklus der Römeroden beginnt also mit einem Gedicht, der die
Macht entwertet und das Lob des epikureischen Daseins singt, und das ist
für den modernen Betrachter so erstaunlich, daß man zu verschiedenen
Hypothesen gegriffen hat, um den Sachverhalt, den man offensichtlich als
anstößig empfand, zu mildern62.
Auch die 2. Römerode bringt die Wendung nach innen. Zunächst be-
singt sie die virtus im Kriege, wobei das „dulce et decorum est pro patria
mori“ auch auf die Unterlegenen von Philippi bezogen werden darf63, die
Horaz in dem Pompeiusgedicht 0 saepe me cum ehrenvoll nennt (c. 2,7,11):
cum fracta virtus.
Mit plötzlicher Wendung ist aber nicht mehr von militärischer Bewäh-
rung, sondern von einer andern virtus die Rede, die folgendermaßen ge-
kennzeichnet wird: