18
Hans Frhr. von Campenhausen
dessen Text später noch einmal „verbessert“, indem sie den ganzen
peinlichen Passus von der Feigheit der Märtyrer einfach fortließ.
2. Wir wenden uns nunmehr dem anschließenden Kapitel über
den zum Martyrium drängenden und dann doch verleugnenden
Phryger Quintus zu. Auf den ersten Blick scheint es im Gewebe des
Berichtes fest eingeknüpft. Die Entgegensetzung dieses Versagers
und des heroischen Bekenners Germanikos wirkt wie ein einleitendes
Präludium zum Martyrium Polykarps und wird durch den Gleich-
klang des seltenen Wortes προσβιασάμενος hier (M 3,1, hier zweifel-
los aus Ignatios Rom. 5,2 entlehnt) und παραβιασάμενος dort (M 4)
noch besonders unterstrichen. Es läßt sich aber, wie mir scheint,
gleichwohl zeigen, daß das ganze Kapitel 4 in Wirklichkeit eine
alte, d.h. voreusebianische Interpolation darstellt.
Entscheidend ist der Zusammenhang und Gang der Handlung,
den die Quintusepisode in der störendsten Weise unterbricht. Erst
wenn man sie ausscheidet, ergibt sich ein klarer und vernünftiger
Fortschritt. M3,2 ist erzählt, wie das Volk, durch das mutige
Sterben des Germanikos zu äußerster Wut gereizt, in den wilden
Ruf ausbricht: „Weg mit den Gottlosen! Sucht den Polykarp!“
„Als der bewunderungswürdige Polykarp“, heißt es dann M 5,1
weiter, „zuerst davon hörte, geriet er in keinerlei Unruhe, sondern
wollte in der Stadt bleiben. Aber viele (Brüder) überredeten ihn,
er sollte sich zurückziehen, und er zog sich (also) auf ein Landgut
zurück“ usw. Diese Darstellung ergibt einen guten, völlig verständ-
lichen Sinn. Sie wird nun durch den Einschub des Quintuskapitels
gewaltsam auseinandergerissen. Im Augenblick der höchsten
Spannung, da das tobende Gebrüll der Menge zur Verfolgung Poly-
karps aufruft, bringt der heutige Pioniostext ohne jede Über-
leitung den Phryger Quintus auf die Bühne: „Ein Mann namens
Quintus, ein Phryger, der eben erst aus Phrygien gekommen war,
bekam es, als er die Tiere erblickte, mit der Angst. Er war es, der
sich und einige andere mit gewaltsamem Entschluß dazu gebracht
hatte, sich selbst zu stellen“ — und dann folgt die Geschichte
seines Versagens und die grundsätzliche Kritik seines Verhaltens.
Die absurde Konsequenz dieser Einschaltung ist jetzt, daß Polykarp,
hiervon in Kenntnis gesetzt, keine Unruhe zeigt, sondern in der
Stadt bleiben will. Das ist nun wirklich nicht die angemessene
Reaktion eines Bischofs auf eine derartig tragische Mitteilung; sie
hätte ihn mit Schmerz und Sorge erfüllen und wenn möglich zu
Hans Frhr. von Campenhausen
dessen Text später noch einmal „verbessert“, indem sie den ganzen
peinlichen Passus von der Feigheit der Märtyrer einfach fortließ.
2. Wir wenden uns nunmehr dem anschließenden Kapitel über
den zum Martyrium drängenden und dann doch verleugnenden
Phryger Quintus zu. Auf den ersten Blick scheint es im Gewebe des
Berichtes fest eingeknüpft. Die Entgegensetzung dieses Versagers
und des heroischen Bekenners Germanikos wirkt wie ein einleitendes
Präludium zum Martyrium Polykarps und wird durch den Gleich-
klang des seltenen Wortes προσβιασάμενος hier (M 3,1, hier zweifel-
los aus Ignatios Rom. 5,2 entlehnt) und παραβιασάμενος dort (M 4)
noch besonders unterstrichen. Es läßt sich aber, wie mir scheint,
gleichwohl zeigen, daß das ganze Kapitel 4 in Wirklichkeit eine
alte, d.h. voreusebianische Interpolation darstellt.
Entscheidend ist der Zusammenhang und Gang der Handlung,
den die Quintusepisode in der störendsten Weise unterbricht. Erst
wenn man sie ausscheidet, ergibt sich ein klarer und vernünftiger
Fortschritt. M3,2 ist erzählt, wie das Volk, durch das mutige
Sterben des Germanikos zu äußerster Wut gereizt, in den wilden
Ruf ausbricht: „Weg mit den Gottlosen! Sucht den Polykarp!“
„Als der bewunderungswürdige Polykarp“, heißt es dann M 5,1
weiter, „zuerst davon hörte, geriet er in keinerlei Unruhe, sondern
wollte in der Stadt bleiben. Aber viele (Brüder) überredeten ihn,
er sollte sich zurückziehen, und er zog sich (also) auf ein Landgut
zurück“ usw. Diese Darstellung ergibt einen guten, völlig verständ-
lichen Sinn. Sie wird nun durch den Einschub des Quintuskapitels
gewaltsam auseinandergerissen. Im Augenblick der höchsten
Spannung, da das tobende Gebrüll der Menge zur Verfolgung Poly-
karps aufruft, bringt der heutige Pioniostext ohne jede Über-
leitung den Phryger Quintus auf die Bühne: „Ein Mann namens
Quintus, ein Phryger, der eben erst aus Phrygien gekommen war,
bekam es, als er die Tiere erblickte, mit der Angst. Er war es, der
sich und einige andere mit gewaltsamem Entschluß dazu gebracht
hatte, sich selbst zu stellen“ — und dann folgt die Geschichte
seines Versagens und die grundsätzliche Kritik seines Verhaltens.
Die absurde Konsequenz dieser Einschaltung ist jetzt, daß Polykarp,
hiervon in Kenntnis gesetzt, keine Unruhe zeigt, sondern in der
Stadt bleiben will. Das ist nun wirklich nicht die angemessene
Reaktion eines Bischofs auf eine derartig tragische Mitteilung; sie
hätte ihn mit Schmerz und Sorge erfüllen und wenn möglich zu