Metadaten

Schadewaldt, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1959, 2. Abhandlung): Neue Kriterien zur Odyssee-Analyse: die Wiedererkennung des Odysseus und der Penelope — Heidelberg, 1959

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42460#0018
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
16

Wolf gang Schadewalclt

aber habe ein Herz, härter als Stein“ (97—103)11. Dem Sohn ant-
wortet Penelope: „MeinKind (texvov epov)“, und sie sagt, daß ihr das
Herz in der Brust erstarrt sei und sie den Gatten nicht anreden, nicht
befragen noch anschauen könne, daß sie sich aber gewiß beide schon
besser erkennen werden, denn sie haben ihre verborgenen, nur
ihnen beiden bekannten Zeichen. Worauf Odysseus lächelt und auch
seinerseits zu dem Sohne spricht: „Telemachos! laß die Mutter mich
nur auf die Probe stellen, bald wird sie es auch besser wissen. Vor-
läufig mißachtet sie mich (anga^ei ge), weil ich schmutzig bin und
schlechte Kleider am Leibe habe, und meint noch nicht, daß ich
es bin (104—116).“
Das Gespräch ist damit in Fluß gekommen. Es ist ein Gespräch
von einer ganz besonderen festen Form, die wir im Leben wie auch
in der Literatur gut kennen. Penelope wie Odysseus richten das
Wort nicht aneinander, sondern der Mann wie auch die Frau reden
den Sohn an und wenden sich an ihn; allein was sie zu dem Sohne
sagen, sagen sie in Wahrheit doch einer für den anderen: Penelopes
Wort von den verborgenen Zeichen, Odysseus’ Wort, daß sie ihn
mißachte. Die beiden Gatten und der Sohn bilden gleichsam ein Drei-
eck und die beiden sprechen über den Sohn,über das Eck“ zueinander.
Ich nenne diese Art Gespräche deswegen ein Übereckgespräch und
bemerke kurz, daß solche Übereckgespräche überall dort im Leben
— wie auch in der Literatur — am Platze sind, wo eine Scheu das
unmittelbare Miteinandersprechen hindert und man sich doch über
den .Dritten“ das Erforderliche zu verstehen gibt. Eine feste Ge-
sprächsstruktur also, die man natürlich niemals12 zerschneiden kann.
Allein, dieses seiner äußeren Form nach über den .Dritten“
gehende Übereckgespräch hat noch einen anderen Charakter. Wir
können es mit einem Ballspiel vergleichen. Wenn Penelope von
jenen geheimen Zeichen redet, die allein sie und Odysseus kennen,
wirft sie dem Odysseus den Ball zu. Er fängt ihn noch nicht, geht
nicht auf jene Zeichen ein, wirft ihr aber seinerseits den Ball zu, und
zwar mit einem recht scharfen Wurf, indem er — ,lächelnd“, wie der
Dichter sagt — der Frau den Vorwurf macht, daß sie ihn verachte,
11 „Nicht an Telemachos war es, die Mutter zu tadeln“, Von der Mühll 762.
Dieser von der Kategorie einer allgemeinen Wohlanständigkeit und Schicklich-
keit her begründete Einspruch dürfte kaum dem besonderen Ethos, mit dem
Telemachos ,tadelt1, gerecht werdem
12 Wie es bei Von der Mühll geschieht, wenn er die Eindichtung sich bereits von
96—165 erstrecken läßt.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften