Metadaten

Schadewaldt, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1959, 2. Abhandlung): Neue Kriterien zur Odyssee-Analyse: die Wiedererkennung des Odysseus und der Penelope — Heidelberg, 1959

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42460#0020
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
18

Wolf gang Schadewaldt

sahen, zunächst aufgrund der konventionellen negativen Kriterien
den Verdacht erregt hatte, eine Einlage zu sein. Wie unsere Para-
phrase zeigte, fügen sich die Worte der Penelope 174 ,Gar nicht tue
ich groß noch bin ich geringschätzig4 über die Digression hinweg
bruchlos an das Reizwort des Odysseus ,vorläufig mißachtet sie mich4
(vuv 8e ... (rupd^ei ge) V. 115f. Und nicht nur die Worte. Auch die
Erregung, mit der Penelope spricht: das Trikolon oü ydq ti geyodit;o-
pai oi)8’ ddeQ^co oi)8e 7.it]v ayapcu ist eben durch jenes Reizwort hervor-
gerufen14. Was durch jene Digression von über fünfzig Versen aus-
einandergesprengt wurde, ist die feste Form jenes Reizgesprächs, ist
jenes Ballspiel der beiden Gatten. Und das eben ist das Entschei-
dende, was auf unserem positiven Wege die Digression als ein un-
organisches Einschiebsel, als spätere Eindichtung erweist. Um es
noch einmal recht klar zu sagen: den zureichenden Grund für die
Erkenntnis der Digression als Eindichtung liefern uns noch nicht
jene konventionellen negativen Kriterien: daß das Gespräch über
fünfzig Verse ,unmotiviert4 und ,in unnatürlicher Weise4 stillgelegt
ist, daß Penelope ,in unziemlicher Weise4 sitzen und warten muß,
14 Das ömpd^Ei p£ 115 f. ist also der nach E. Schwartz „fehlende Vorwurf, gegen
den Penelope in ihrer Antwort 175 sich rechtfertigt“. Doch kann das oute Mryv
ayapai gewiß nicht „ich bewundere dich nicht zu sehr“ heißen, wie E. Schwartz
133 übersetzt. Einfach ,bewundern“ heißt ayapoa nicht einmal II. 3, 181. Das
von der Wurzel dya- doch wohl nicht zu trennende Wort (Boisacq 41950, 3;
Frisk, Griechisch etymologisches Wörterbuch, 1. Lieferung, Godesberg 1954, 5)
bezeichnet, wie so manche urtümlichen Affektvorstellungen, zunächst noch durch-
aus undifferenziert, ein übermächtiges Ergriffensein, Überwältigt- und Be-
stürztsein in verschiedenen Graden bis hin zum Entsetzen. Mit xatdrdr]l;i,g
deuten das Wort richtig verschiedene antike Erklärer. So das in der epischen
Sprache feste ayrj |Pe%ei II. 21, 221 im Munde des Flußgottes hinsichtlich des
schrecklichen Mordens des Achilleus, während pütlov dyaocrdpsvoi in einer ande-
ren festen Verbindung nach einer Rede die überwältigende, stark beeindruckende,
durch- und niederschlagende Wirkung der Rede bezeichnen kann (II. 7, 404;
9, 51. 711 und 9, 431. 694; auch 8, 29, und in etwas anderer Abwandlung
3, 224). Von der Grundbedeutung ,Überwältigtsein“ her steht ayaoffoa dem
Grundwort xacpoc;, ,stupor“, ,Schock“, ,Erstarrt-, Starr-, Paralysiertsein“ mit
seinen Derivaten nahe, vgl. II. 16, 806 axfj öe xaqpcbv. Wirklich finden wir
öyapai in engster Verbindung mit TEÜrjjra in der Rede des Odysseus vor Nau-
sikaa, Odyssee 6, 168. Und dem genau entsprechend greift an unserer Stelle das
oüöe Mr)v ayccpm 175 — über die Digression hinweg — auf das xdcpog der
Penelope 93 und ihr Eingeständnis flupog poi. . . xsfhiJTEV 105 zurück. Der Sinn
an unserer Stelle also: „Gar nicht tue ich groß noch bin ich geringschätzig, noch
geht mein Erstarren so weit, daß ich nicht recht wohl wüßte, wie du warst, als
du Ithaka verließest.“
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften