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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1961, 1. Abhandlung): Die große Maecenas-Ode des Horaz (c. 3,29) — Heidelberg, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.44190#0022
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Viktor Pöschl

Motiv angespielt, das für das ganze Gedicht von Bedeutung ist: die Auf-
forderung, nichts zu verschieben: carpe diem quam minimum credula
postero. Wir sind im Bannkreis des epikureischen Sinnspruchs (GV 14 —
Diano 92): „Du bist nicht Herr des morgigen Tages und verschiebst doch
immer, was Freude macht. Das Leben entschwindet im Aufschieben und
jeder von uns stirbt, ohne Muße gefunden zu haben9.“ Der Kernsatz der
Ode quod adest memento componere aequos ist hier schon vorbereitet.
In der strukturellen Zuordnung der beiden Anfangsstrophen spiegelt
sich das Zueinander der beiden Freunde. Der Ungeduld des Dichters ent-
spricht das Zögern des Maecenas, der in Rom sehnsuchtsvoll zu den Bergen
hinüberschaut10, in denen er erwartet wird. Mit den drei Gaben des Sym-
posions korrespondieren die drei Orte der römischen Campagna: udum
Tibur - kein Epitheton könnte treffender den Wasserreichtum des Ortes
malen, der in den Wasserspielen der Villa d’Este den Beschauer auch heute
entzückt, - Aefula, zwischen Tivoli und Palestrina gelegen, und Tusculum
auf den Albanerbergen, mythisch umschrieben durch den sagenhaften
Gründer Telegonus, den Sohn des Odysseus und der Kirke, der seinen
Vater auf Ithaka erschlug, weil er ihn nicht erkannte. Das ruchloseste aller
Verbrechen (parricidae durch das lastende, caesurlose Wort hervorgehoben
und den Strophenschluß akzentuiert) wird nicht ohne Absicht genannt.
Ein düsterer Zug kommt dadurch in die Strophe.

9 GV 14 = Diano 92: Γεγόναμεν απαξ, δ'ις δέ ούκ έστι γενέσθαι · δει τον αιώνα
μηκέτι είναι· σύ δέ ούκ ών τής αύριον κύριος άναβάλλη τό χαΐρον (Vat. τον καιρόν
Stob.) · δ δέ βίος μελλησμφ παραπόλλυται και είς έκαστος ήμών ασχολούμενος
αποθνήσκει, vgl. auch Ethic. Epic. ed. Wolfg. Schmidt (p. 45), Pap. Hercul.
1251, col. 1916: προς αναβολήν ζώσιν ώς έξεσόμενον αύτοϊς ύστερον αγαθών
μετασχεΐν. Seneca, brev. vitae 9, 1: maxima vitae iactura dilatio est: illa
primum quemque extrahit diem, illa eripit praesentia, dum ulteriora promittit.
maximum vivendi impedimentum est expectatio, quae pendet ex crastino, per-
dit hodiernum. quod in manu fortunae positum est, disponis, quod in tua,
dimittis. quo spectas? quo te extendis? omnia quae Ventura sunt in incerto
iacent: protinus vive! ep. 101, 7: nihil differamus: cotidie cum vita paria facia-
mus. Maximum vitae vitium est, quod inperfecta semper est, quod aliquod ex
illa differtur. Qui cotidie vitae suae summam manum inposuit, non indiget
tempore.
10 Contemplari ist wie Ed. Norden, Aus altrömischen Priesterbüchern, 1939, 74,
nachgewiesen hat, ein Ausdruck der Auguralsprache. Es heißt ursprünglich die
templa des Himmels sorgfältig und erwartungsvoll betrachten, wie es der
Augur tut, der auf ein günstiges Zeichen wartet. Etwas von den Gefühlen, die
mit einer solchen Betrachtung verknüpft sind, liegt auch hier in dem Wort. Die
früheren Erklärer haben das richtiger empfunden als Heinze, der paraphra-
siert: „So gut du es auch bei dir hast, eine Abwechslung wird dir wohl tun.“
Dagegen Orelli-Baiter: contempleris: e longinquo sane cum desiderio gratissi-
mis his tractibus ipsis fruendi, richtig auch Ussani: Contempleris non e lo stesso
ehe prospectes, giacche in contemplari v’e di piu un senso di continuazione nel
guardare, ehe puo implicare come qui un certo rimpianto.
 
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