16
Viktor Pöschl
treten in den Raum des Gedichtes ein: die Sterne, denen sich dann die
fernen unruhigen Völker an den Grenzen des römischen Imperiums an-
schließen, der über die Ufer tretende Fluß, Jupiter, der mit schwarzen
Wolken den Himmel verhüllt, die grausame Fortuna, die „afrikanischen
Stürme“: Kosmos und Natur, Politik und Schicksal. Wie kann der Mensch
angesichts solcher Mächte seine innere Freiheit und Heiterkeit bewahren?
Das ist die Frage, die sich abzuzeichnen beginnt.
Der „Vater der Andromeda“16 gibt dem Neueinsatz einen deutlichen
Akzent. Er evoziert einen grausamen Mythos wie früher der Vatermörder
Telegonus. Beide mythologischen Anspielungen, die einzigen, die die Ode
enthält, stehen in Beziehung zueinander: dem Vatermörder folgt der bar-
barische Aethiopierkönig Kepheus, der die eigene Tochter dem Meeres-
ungetüm zum Fraß aussetzte. Dadurch wird wiederum im Kolorit des
Mythologems der Wechsel der Tonart angedeutet und die Klangfarbe
antizipiert, die in den folgenden Strophen immer stärker zum Durchbruch
kommt. Ein stilistischer Kunstgriff verstärkt den Eindruck des Gewaltsam-
Unharmonischen: die Nachbarstellung gegensätzlicher Ausdrücke zu Be-
ginn der Strophe: iam clarus occultum, eine Art Oxymoron. Die Gewalt
der Hitze, die in dieser Dissonanz sichtbar wird, steigert sich noch mehr im
„Wüten“ {furit') des Procyon und im Rasen des „wahnsinnigen“ (vesani)
Löwen. Der Schlußvers sole dies referente siccos faßt die Strophe zusam-
men und bildet zugleich die Überleitung zum folgenden Sommeridyll:
Strophe 6
Die Strophen 5 und 6 sind durch die iam-Anapher verklammert und
auch sonst parallel gebaut17. Den drei Sternbildern entsprechen die drei
18 W. Riedel, Philol. 95, 308f. möchte pater als Juppiter und Andromedae occul-
tum ignem als den Andromedanebel verstehen (Belege für eine solche Aus-
drucksweise bleibt er allerdings schuldig). Kepheus sei als circumpolares Stern-
bild in Rom das ganze Jahr über zu sehen. Wenn die Erklärer bemerkten, daß
nach Columella 11, 2, 51 das Sternbild am 9. Juli sichtbar werde, treffe das
zwar für Alexandrien, nicht aber für Rom zu. Aber daß das Sternbild selbst
sein „Feuer zeigt“, ist durch Catull 62, 7 gesichert: Nimirum Oetaeos ostendit
Noctifer ignes. Weshalb Horaz hier den Vater der Andromeda gut brauchen
konnte, habe ich oben zu erklären versucht. Die Unbekümmertheit aber, mit
der er den alexandrinischen Aufgang des Kepheus nach Italien überträgt, ist
in die Beispiele einzureihen, die W. Kroll in dem Kapitel „Die Unfähigkeit
zur Beobachtung“ (Studien z. Verständnis d. röm. Lit. 1924, 280ff.) zusammen-
getragen hat. Er hat sich auf zoologische, historische, geographische und ethno-
graphische Belege beschränkt, aber astronomische Abweichungen vom Fakti-
schen würden sich sicher ebenfalls in größerer Zahl finden lassen.
17 Durch das Enjambement caretque/ripa, wodurch der letzte Satz in den vorher-
gehenden Vers zurückgreift, variiert der Dichter die vorangehende Strophe und
vermeidet eine allzu bizarre Parallelität. Die Variation ist vergleichbar mit
Viktor Pöschl
treten in den Raum des Gedichtes ein: die Sterne, denen sich dann die
fernen unruhigen Völker an den Grenzen des römischen Imperiums an-
schließen, der über die Ufer tretende Fluß, Jupiter, der mit schwarzen
Wolken den Himmel verhüllt, die grausame Fortuna, die „afrikanischen
Stürme“: Kosmos und Natur, Politik und Schicksal. Wie kann der Mensch
angesichts solcher Mächte seine innere Freiheit und Heiterkeit bewahren?
Das ist die Frage, die sich abzuzeichnen beginnt.
Der „Vater der Andromeda“16 gibt dem Neueinsatz einen deutlichen
Akzent. Er evoziert einen grausamen Mythos wie früher der Vatermörder
Telegonus. Beide mythologischen Anspielungen, die einzigen, die die Ode
enthält, stehen in Beziehung zueinander: dem Vatermörder folgt der bar-
barische Aethiopierkönig Kepheus, der die eigene Tochter dem Meeres-
ungetüm zum Fraß aussetzte. Dadurch wird wiederum im Kolorit des
Mythologems der Wechsel der Tonart angedeutet und die Klangfarbe
antizipiert, die in den folgenden Strophen immer stärker zum Durchbruch
kommt. Ein stilistischer Kunstgriff verstärkt den Eindruck des Gewaltsam-
Unharmonischen: die Nachbarstellung gegensätzlicher Ausdrücke zu Be-
ginn der Strophe: iam clarus occultum, eine Art Oxymoron. Die Gewalt
der Hitze, die in dieser Dissonanz sichtbar wird, steigert sich noch mehr im
„Wüten“ {furit') des Procyon und im Rasen des „wahnsinnigen“ (vesani)
Löwen. Der Schlußvers sole dies referente siccos faßt die Strophe zusam-
men und bildet zugleich die Überleitung zum folgenden Sommeridyll:
Strophe 6
Die Strophen 5 und 6 sind durch die iam-Anapher verklammert und
auch sonst parallel gebaut17. Den drei Sternbildern entsprechen die drei
18 W. Riedel, Philol. 95, 308f. möchte pater als Juppiter und Andromedae occul-
tum ignem als den Andromedanebel verstehen (Belege für eine solche Aus-
drucksweise bleibt er allerdings schuldig). Kepheus sei als circumpolares Stern-
bild in Rom das ganze Jahr über zu sehen. Wenn die Erklärer bemerkten, daß
nach Columella 11, 2, 51 das Sternbild am 9. Juli sichtbar werde, treffe das
zwar für Alexandrien, nicht aber für Rom zu. Aber daß das Sternbild selbst
sein „Feuer zeigt“, ist durch Catull 62, 7 gesichert: Nimirum Oetaeos ostendit
Noctifer ignes. Weshalb Horaz hier den Vater der Andromeda gut brauchen
konnte, habe ich oben zu erklären versucht. Die Unbekümmertheit aber, mit
der er den alexandrinischen Aufgang des Kepheus nach Italien überträgt, ist
in die Beispiele einzureihen, die W. Kroll in dem Kapitel „Die Unfähigkeit
zur Beobachtung“ (Studien z. Verständnis d. röm. Lit. 1924, 280ff.) zusammen-
getragen hat. Er hat sich auf zoologische, historische, geographische und ethno-
graphische Belege beschränkt, aber astronomische Abweichungen vom Fakti-
schen würden sich sicher ebenfalls in größerer Zahl finden lassen.
17 Durch das Enjambement caretque/ripa, wodurch der letzte Satz in den vorher-
gehenden Vers zurückgreift, variiert der Dichter die vorangehende Strophe und
vermeidet eine allzu bizarre Parallelität. Die Variation ist vergleichbar mit