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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1961, 1. Abhandlung): Die große Maecenas-Ode des Horaz (c. 3,29) — Heidelberg, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.44190#0031
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Die große Maecenasode des Horaz

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einfügen und als monumentum aere perennius für die Nachwelt fest-
halten?
So verstanden, kann die Odendichtung des Horaz veranschaulichen, wie
tief die von Seneca ausgesprochene Analogie von Kunstwerk und Leben
reicht und wie die Dichtung zu einem Organ der Lebenserfüllung und Le-
benssteigerung werden kann. Daß von hier ein Weg zu Goethe, zu Walter
Pater, zu Hofmannsthal führt28, ist klar.
Im Zusammenhang der Ode ist das quod adest componere vor allem als
ein geistiger Akt gemeint, der mit dem epikureischen Verhalten zu den
praesentia29 30 verwandt ist, wie es Cicero darstellt (fin. 1, 62): „Des Vergan-
genen erinnert er sich in Dankbarkeit, der gegenwärtigen Dinge bemäch-
tigt er sich in der Weise, daß er sein Augenmerk darauf richtet, wieviele
es sind und wie freudebringend sie sind (qucmta sint quamque iucunda).“
Hier spielt noch eine andere Vorstellung herein, die für die epikureische
Lebensphilosophie ebenfalls von Wichtigkeit ist, nämlich, daß man in je-
der Situation des Lebens Bilanz machen soll, ja, daß das ganze Leben eine
Bilanz darstellt, bei der es auf eine Gewinnsumme ankommt, zu der jeder
glückliche Augenblick einen Aktivposten hinzufügt (c. 1, 9, 14): quem fors
dierum cumque dabit, lucro appone^. Auch die Widrigkeiten des Lebens
scheinen in dieser Bilanz auf, aber „die Schmerzen haben“ - ich zitiere
wieder Cicero - „auch wenn sie ins Leben hineinbrechen, niemals eine sol-
che Gewalt, daß der Weise nicht mehr hätte, worüber er sich freuen könnte,
als worüber er verängstigt und bedrückt sein müßte.“ Der Tor aber, der
voller Sorge und Angst nur in die Zukunft schaut, der sich der vita occupa-
ta und der Gier nach Macht und Reichtum verschrieben hat, kommt nicht
28 Hofmannsthal zitiert aus Grillparzers Studienheft: „Alle Kunst beruht nicht
auf der Ausdehnung, sondern auf der Erfüllung.“ (Hofmannsthal, Prosa IV,
169.) Zu Pater vgl. Wolfgang Iser, Walter Pater, Die Autonomie des Ästhe-
tischen, Tübingen 1960.
29 Vgl. Pap. Here. 831, col. 14, 3 sqq. ή δ’άν τό πλήρωμα των αγαθών τις έν
δμμασι τιθήται και έπιλογίζηται τίνα τε εχει και πόσα και πηλίκα, τίνα μεν
δτι αγαθά, πόσα δέ δτι πολλά, πηλίκα δέ δτι μεγάλα. (Hierzu Koerte, Metrodori
fragmenta, Suppl. Jb. Leipzig 1890, S. 577 und W. Schmid, Ethica Epicurea,
1939, 77, Anm. 3).
30 Dieses Bilanzziehen konnte vielleicht mit συντιθέναι bezeichnet werden. Mög-
licherweise ist es in dem von Wolfg. Schmid herausgegebenen Pap. Hercul.
1251 vorausgesetzt, wo es von den Toren heißt: άσύνθετοι διατελοΰσιν was
Wolfg. Schmid übersetzt: in omne tempus computationem praetermittunt.
(Ethica Epicurea, Leipzig 1939, col. XIX). Μ. Gigante erklärt dagegen
άσύνθετος hier als incompositus (indica disarmonia spirituale, assenza di
equilibrio, di ordine e di compattezza inferiore) unter Berufung auf Demo-
sthenes or. 19, 136: δ μέν δήμος έστιν άσταθμητότατον πράγμα των πάντων
και άσυνθετώτατον, ώσπερ έν θαλάττη κΰμ’ άκατάστατον, ως αν τύχη κινούμενον.
(Μ. Gigante, Filodemo e l’autore dell’etica Comparetti, Epicurea in memoriam
Hectoris Bignone, 1959, 120).
 
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