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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1961, 1. Abhandlung): Die große Maecenas-Ode des Horaz (c. 3,29) — Heidelberg, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.44190#0034
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Viktor Pöschl

flutet - sie setzt in 9 ein und greift in 11 hinüber - zum Abschluß. Ed.
Fraenkel fragt (a. 0. 224, 1), was den Dichter zu dem kühnen Ausdruck
fera diluvies quietos irritat amnis veranlaßt haben könne. Horaz gebe hier
vermutlich Worte des homerischen Skamander wieder, der zum Flusse
Simois sagt (Ilias 21, 31 lff.): πάντας δ’ όρόΐΐυνον έναύλους. Träfe dies zu,
so wäre es ein weiterer Beleg für die mosaikartige Arbeitsweise des Dich-
ters. Aber die Stelle wäre damit noch nicht erklärt. Der Zusammenhang
mit den Sorgen des Maecenas läßt klar erkennen, daß sich im Fluß und der
wilden Wasserflut weniger Schicksale abspiegeln, die sich im Leben des
Einzelnen vollziehen, als vielmehr politische und soziale Umwälzungen
und Katastrophen größeren Ausmaßes, wie sie die Generation des Dichters
mehrfach erfahren hatte33 (wie ja auch das cum pace delabentis schon
durch die Wortwahl auf friedliche Zeiten hindeutet), Kollektivkatastro-
phen (yolventis und), die auch den, der sich ihnen am meisten entwinden
möchte, in ihren Strudel ziehen: fera diluvies quietos irritat amnis. Man
kann sich diese Worte des Dichters, der in den Bürgerkrieg hineingerissen
bei Philippi mitkämpfte und dann von den Landenteignungen getroffen
vzurde, nicht ohne ein vieldeutiges Lächeln gesprochen denken.
Damit wird zugleich klar, daß es Situationen gibt, denen sich auch der
nicht entziehen kann, der die fallentis semita vitae gewählt hat. Ein strik-
ter Epikureismus ist nicht immer konsequent durchzuführen. (Das besagt
auch die Ode 1, 34 Parcus deorum cultor, vgl. Harv. Class. Stud. 63, 1958,
341.) Nicht immer kann man sich wie der Hirt ans windstille Flußufer
zurückziehen. Im Gegensatz zu der Zurückgezogenheit des Hirtenidylls
wird hier der Mensch mit der Katastrophe konfrontiert, die er im Bewußt-
sein des vixi zu bestehen weiß. Daß der Hirt mit dem Weisen der Strophe
11 verknüpft ist, hat Hornsby (a. 0. 131) richtig erkannt, der in Maece-
nas, dem Hirten und dem Weisen (bzw. Horaz) die Hauptfiguren des Ge-
dichts und die Haupttypen der Lebensbewältigung erblickt,wobei für ihn
Hirt und Weiser nahe zusammenrücken und nur dadurch unterschieden
sind, daß dem Hirten die Bewußtheit (self-consciousness) fehlt. Entschei-
dend aber ist, daß im Gegensatz zu dem Hirten der Weise mit den „andern
Dingen“ konfrontiert wird und daß er nicht nur im Gegenwärtigen, son-
dern auch im Vergangenen lebt, das er in sich bewahrt und auch gegen
eine unerfreuliche Gegenwart - cum fera diluvies quietos irritat amnis -
auszuspielen und zu verrechnen vermag.
Das Gleichnis des Flusses zielt also in erster Linie auf die politischen
und sozialen Entwicklungen, über die wir nicht Flerr sind und in die wir
gegen unseren Willen hineingezogen werden können34. Im übrigen er-
33 Mit diesen Zeiterfahrungen hat sich Horaz wiederholt auseinandergesetzt, vgl.
meine Abhandlung Horaz und die Politik, Sb. Heid. Ak. 1956, 16ff. und Die
Einheit der ersten Römerode, Harv. Stud. Class. Phil. 63, 1958, 341 ff.
34 Vgl. was Nepos über Atticus berichtet, der sich hinsichtlich der Beteiligung am
 
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