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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1961, 1. Abhandlung): Die große Maecenas-Ode des Horaz (c. 3,29) — Heidelberg, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.44190#0039
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Die große Maecenasode des Horaz

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Wie die Hirtenstrophe die γαλήνη symbolisiert im Gegensatz zur τα-
ραχή, so steht die engumgrenzte kleine Welt, in die sie uns führt (man
könnte denken im Sabinertal des Horaz), in einem beabsichtigten extremen
Gegensatz zur Weltweite des römischen Reiches und auch um dieses äußer-
sten Gegensatzes willen werden gerade die Völker an den fernsten Gren-
zen des Imperiums genannt. Ihre Geborgenheit wird konfrontiert mit der
Gefährdung Roms, ihre Zeit- und Geschichtslosigkeit mit dem gewaltigen
Raum des Geschichtlichen, der durch ein scheinbar so nebensächliches Epi-
theton wie reg?zata Cyro Bactra heraufgerufen wird: Rom als Nachfolgerin
des Perserreiches, das ist die Vorstellung, die hier anklingt. Aus dem Be-
reich der Stadt Rom und ihrer ländlichen Bergumgebung, in dem sich die
Anfangsstrophen des Gedichtes bewegten, ist die Ode hinausgewachsen
in den kosmischen Bereich der Sterne, in die Weite des Imperiums und
die Dimension des Geschichtlichen. Angesichts der so entfalteten großen
Welt, die in der Schicksalsgewalt des reißenden Stromes noch intensiviert
und zu einem mächtigen Symbol zusammengefaßt wird, ist die Zurück-
gezogenheit der Hirtenwelt keine ausreichende Antwort mehr. Sie kann
nur Vorstufe sein: angesichts solcher Gewalten, deren Härte und Unent-
rinnbarkeit nicht geleugnet wird, bedarf es anderer Waffen. Dem Aus-
einanderklaffen der Extreme, das die erste Hälfte des Kernstückes (Stro-
phe 5-8) beherrscht, steht in der zweiten Hälfte (Strophe 9-12) die Hal-
tung dessen gegenüber, der auch die größten Katastrophen innerlich zu
bewältigen und ihnen das vixi als unzerstörbare Realität entgegenzustellen
vermag.
In großartiger Stufung, in drei anwachsenden Wellen branden die
feindlichen Gewalten heran: dreimal werden sie gleichsam nach dem
Toynbeeschen Schema von challenge und response gebändigt und über-
wunden: den Gestirnen, die die Hitze heranführen, antwortet die Schatten-
ruhe von Hirt und Herde, den imperialen Sorgen des Maecenas das Lä-
cheln des Gottes über die Torheit des Sterblichen, der zerstörenden Ge-
walt des Flusses die unentreißbare Gewißheit des gelebten Augenblicks,
in der der Weise Freiheit und Heiterkeit findet. Der Hirt - der lächelnde
(epikureische) Gott - der (epikureische) Weise: das sind drei sich stei-
gernde Verkörperungen souveräner Schicksalsbewältigung.
Die Hirtenstrophe ist mit der Struktur des Kernstücks auch sonst aufs
festeste verbunden. Die acht Strophen zeigen einen deutlich symmetrischen
Bau. Dem friedlichen Hirtenidyll - der zweiten Strophe innerhalb der
Gruppe — entspricht der wild über die Ufer tretende Fluß in der ent-
sprechenden Strophe der zweiten Hälfte (Strophe 6 und 10), der ruhigsten
Strophe des ganzen Gedichts die wildeste, bewegteste, und das auf den
engsten Bezirk begrenzte Hirtenidyll bildet den vorbereitenden Kontrast
zu den das Imperium bis an seine fernsten Grenzen umfassenden Sorge
des Maecenas (Strophe 7), die unruhigste (Strophe 10) den Kontrast zu der
 
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