Metadaten

Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1961, 1. Abhandlung): Die große Maecenas-Ode des Horaz (c. 3,29) — Heidelberg, 1961

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44190#0049
License: In Copyright
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die große Maecenasode des Horaz

39

Iitischen Aufgaben, die Grenzvölker, deren Verhalten ihm Sorge bereitet,
sind spezifiziert. Die hintereinander aufgehenden Sternbilder, die die Juli-
hitze bringen, und auch der Hirt und seine Herde sind als real vorge-
stellt. Wir bewegen uns im Rahmen der römischen Wirklichkeit: die Land-
städte der Umgebung Roms: Tivoli, Aefula und Tusculum in Strophe 2
leiten über zu Rom, das die Strophe 3 mächtig beschließt. Von dem Bild
Roms und seiner in Rauch und Lärm eingehüllten Schätze führt dann eine
Brücke zu den drohenden Völkern an den Grenzen des Reichs, den Se-
rern, Baktrern und Skythen (die durch den Don repräsentiert sind). Das
ist zugleich eine deutliche Steigerung: die Landstädte, Rom, das Imperium.
Hier kann man besonders klar das „Wachsen“ der Ode erkennen. Auch
im Anfang der zweiten Hälfte erscheint noch ein Element der Wirklichkeit
Roms: der Tiberstrom, aber es ist das einzige und nur noch Gleichnis und
so fügt es sich dem prinzipiellen Charakter ein, der die zweite Gedicht-
hälfte bestimmt. Auch die Fahrt des Dichters durch die Meereswogen müs-
sen wir als ein Gleichnis ansehen.
Es ist die Zweiteilung, die die Struktur auch anderer Horazgedichte
bestimmt: in ihrer ersten Hälfte behandeln sie einen speziellen Anlaß,
um im zweiten das Thema ins Allgemeine zu erweitern und zu vertiefen53.
Schließlich ist unsere Ode auch in vier Viererstrophengruppen geglie-
dert, und hier ergibt sich eine Überraschung. Aufs Große gesehen läßt sich
das Gestaltungs- und Bewegungsprinzip, das sie bestimmt, folgender-
maßen beschreiben. Die ersten beiden Gruppen (1-4 und 5-8) zeigen eine
auffallende formale Übereinstimmung: auf je drei Strophen mit je einem
Trikolon folgt eine abschließende Strophe, in der die Bewegung zur Ruhe
kommt, die Spannung nachläßt und die Gegensätze sich mildern: der
Reiche kehrt im Haus des Armen ein, der Gott verweist den ängstlich in
die Zukunft Blickenden auf die Gegenwart. Strophe 1 und 2 und Strophe 5
und 6 sind überdies, wie wir gezeigt haben, jeweils miteinander ver-
koppelt und im Gegensinne gleich gebaut (o. S. 16ff.). Die beiden er-
sten Gruppen bilden gleichsam ein Paar. Die dritte Vierergruppe (9-12)
durchbricht die durch die beiden ersten Gruppen gesetzte Form. Sie ent-
hält die leidenschaftlichste, dramatischste, die Geschlossenheit der Form
am stärksten sprengende Bewegung, aber auch die gedanklich bedeu-
tungsvollste Thematik, die vierte (13-16) die gelösteste, gelassenste, hei-
terste, überlegenste. Die Intensität wächst von der ersten Strophengruppe
über die zweite zur dritten, die ein Höchstmaß an Spannung, Leiden-
schaft und Energie erreicht und den Höhepunkt der Bewegung bildet,
die den Verlauf der Ode kennzeichnet: der unentrinnbaren zerstören-
den Gewalt des Flusses steht die Gespanntheit des Weisen und die Un-

53 Ein Musterbeispiel ist das Propemptikon an Virgil c. 1, 3 Sic te diva potens
Cypri.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften