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Viktor Pöschl
vernichtbarkeit des quod retro est und quod fugiens semel hora vexit
gegenüber, gegen das selbst die Gottheit vergeblich ankämpft. Ist das
nicht so, als sei hier das Grundprinzip der alkäischen Strophe ins Große
projiziert, wo auf zwei parallele Elfsilbler der gewichtige Neunsilbler
folgt, auf dem in so mancher Strophe das Hauptgewicht zu ruhen scheint
(z. B. cum flore Maecens rosarum; transmutat incertos honores) und da-
nach der beschwingte Zehnsilbler den Abschluß bildet? Zwei parallele
Gebilde; ein besonders gewichtiges; ein besonders beschwingtes: das ist
das Gesetz, das die Gangart der alkäischen Strophe bestimmt.
Grosso modo läßt sich nun dieses Prinzip, sehe ich recht, nicht nur im
Aufbau der vier Vierergruppen, sondern - zumindest der Tendenz nach -
auch in den einzelnen Vierergruppen selbst beobachten: auf zwei eng zu-
sammengehörige, aufeinander bezogene, parallele Strophen (1 und 2, 5
und 6, 9 und 10, 13 und 14) folgt die Strophe, auf der das Hauptgewicht
zu liegen scheint: 3 die fastidiosa copia des Maecenas, 7 seine Sorgen um
das Imperium, 11 der Triumph des Weisen über das gewalttätige Gebaren
des Schicksalsgottes, 15 der überlegene Blick des Dichters (non est meum)
auf die gierigen Kauffahrer in Seenot. Auf die jeweils gewichtigste
Strophe aber folgt eine Strophe, in der die Gegensätze sich lösen und
zu einem harmonisch heitern Ausgleich gelangen: die Einkehr des Reichen
im Haus des Armen, das Lächeln der Gottheit und der Trost der Gegen-
wart, die Unzerstörbarkeit des Augenblicks, die glückliche Meeresfahrt.
Die Schlußstrophen der Vierergruppen bringen also jedesmal eine Art von
Versöhnung und Erlösung, ein Ausklingen im Harmonischen, Heiteren,
Leichten. In allen vier Schlußstrophen erscheint, und das ist ebenfalls be-
zeichnend, ein Gott: in Strophe 4 gleichsam versteckt der parvus Lar im
Haus der Armen, unter dem die Reichen Erleichterung ihrer Sorgen fin-
den, in 8 der Gott, der allein die Zukunft kennt und über die unbegründe-
ten Ängste des Sterblichen lächelt, in 12 der Schicksalsgott, der dem Wei-
sen den Besitz des Vergangenen nicht entreißen kann (hier ist es gleich-
sam der Weise selbst, der das Göttliche repräsentiert, während der pater
ja nur Verkörperung der blinden, dumpfen, grausamen, unberechenbaren
Schicksalsgewalt ist), in 16 die Dioskuren, die die Meeresfahrt des Dich-
ters gnädig beschützen.
Die Ode besteht also aus 16 alkäischen Strophen, die in vier Gruppen
zusammengeschlossen sind, die man als vier Großstrophen bezeichnen
könnte, von denen jede Einzelstrophe einem Vers entspricht, und die vier
Großstrophen selbst bilden gleichsam eine alkäische Riesenstrophe: Strophe,
Vierergruppe und Ode folgen dem gleichen Prinzip: nil inexpertum nostri
reliquere poetae, um das Motto von Herescus Buch über die lateinische
Dichtung zu wiederholen.
Die Ode 3, 29, ein Glanzstück horazischer Dichtkunst und Summe seiner
Lebensphilosophie, ist das krönende Gedicht vor Exegi monumentum: die
Viktor Pöschl
vernichtbarkeit des quod retro est und quod fugiens semel hora vexit
gegenüber, gegen das selbst die Gottheit vergeblich ankämpft. Ist das
nicht so, als sei hier das Grundprinzip der alkäischen Strophe ins Große
projiziert, wo auf zwei parallele Elfsilbler der gewichtige Neunsilbler
folgt, auf dem in so mancher Strophe das Hauptgewicht zu ruhen scheint
(z. B. cum flore Maecens rosarum; transmutat incertos honores) und da-
nach der beschwingte Zehnsilbler den Abschluß bildet? Zwei parallele
Gebilde; ein besonders gewichtiges; ein besonders beschwingtes: das ist
das Gesetz, das die Gangart der alkäischen Strophe bestimmt.
Grosso modo läßt sich nun dieses Prinzip, sehe ich recht, nicht nur im
Aufbau der vier Vierergruppen, sondern - zumindest der Tendenz nach -
auch in den einzelnen Vierergruppen selbst beobachten: auf zwei eng zu-
sammengehörige, aufeinander bezogene, parallele Strophen (1 und 2, 5
und 6, 9 und 10, 13 und 14) folgt die Strophe, auf der das Hauptgewicht
zu liegen scheint: 3 die fastidiosa copia des Maecenas, 7 seine Sorgen um
das Imperium, 11 der Triumph des Weisen über das gewalttätige Gebaren
des Schicksalsgottes, 15 der überlegene Blick des Dichters (non est meum)
auf die gierigen Kauffahrer in Seenot. Auf die jeweils gewichtigste
Strophe aber folgt eine Strophe, in der die Gegensätze sich lösen und
zu einem harmonisch heitern Ausgleich gelangen: die Einkehr des Reichen
im Haus des Armen, das Lächeln der Gottheit und der Trost der Gegen-
wart, die Unzerstörbarkeit des Augenblicks, die glückliche Meeresfahrt.
Die Schlußstrophen der Vierergruppen bringen also jedesmal eine Art von
Versöhnung und Erlösung, ein Ausklingen im Harmonischen, Heiteren,
Leichten. In allen vier Schlußstrophen erscheint, und das ist ebenfalls be-
zeichnend, ein Gott: in Strophe 4 gleichsam versteckt der parvus Lar im
Haus der Armen, unter dem die Reichen Erleichterung ihrer Sorgen fin-
den, in 8 der Gott, der allein die Zukunft kennt und über die unbegründe-
ten Ängste des Sterblichen lächelt, in 12 der Schicksalsgott, der dem Wei-
sen den Besitz des Vergangenen nicht entreißen kann (hier ist es gleich-
sam der Weise selbst, der das Göttliche repräsentiert, während der pater
ja nur Verkörperung der blinden, dumpfen, grausamen, unberechenbaren
Schicksalsgewalt ist), in 16 die Dioskuren, die die Meeresfahrt des Dich-
ters gnädig beschützen.
Die Ode besteht also aus 16 alkäischen Strophen, die in vier Gruppen
zusammengeschlossen sind, die man als vier Großstrophen bezeichnen
könnte, von denen jede Einzelstrophe einem Vers entspricht, und die vier
Großstrophen selbst bilden gleichsam eine alkäische Riesenstrophe: Strophe,
Vierergruppe und Ode folgen dem gleichen Prinzip: nil inexpertum nostri
reliquere poetae, um das Motto von Herescus Buch über die lateinische
Dichtung zu wiederholen.
Die Ode 3, 29, ein Glanzstück horazischer Dichtkunst und Summe seiner
Lebensphilosophie, ist das krönende Gedicht vor Exegi monumentum: die