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Bornkamm, Günther; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1961, 2. Abhandlung): Die Vorgeschichte des sogenannten Zweiten Korintherbriefes — Heidelberg, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.44191#0029
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Die Vorgeschichte des sogenannten Zweiten Korintherbriefes

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haben, beweisen schlagend bereits die synoptischen Evangelien. Schon Mar-
kus überliefert in der - nota bene - letzten apokalyptischen Rede Jesu das
Wort: „Es werden aber aufstehen falsche Christusse und falsche Propheten
und werden Wunder und Zeichen tun, um womöglich die Erwählten zu
verführen“ (Mk 13, 22). Matthäus bietet denselben Spruch106, aber hat ge-
rade diesen Zug stärker herausgehoben durch ein neues ähnliches Wort107
und vor allem dadurch, daß er bereits die Bergpredigt in charakteristi-
schem Unterschied zur Lukasparallele108 nach dem besagten Kompositions-
gesetz abschließt. Er und nur er bezieht das auch in der lukanischen Feld-
rede überlieferte Wort vom Baum und seinen Früchten ausdrücklich auf
die falschen Propheten (Wölfe in Schafskleidern) und die Herr-Herr-
Sager auf christliche Charismatiker, die sich vor dem Weltrichter auf Pro-
phezeiungen, Dämonenaustreibungen und Krafttaten in seinem Namen be-
rufen und doch von ihm verworfen werden (7, 15-23)109. Aber dieses Bei-
spiel steht nicht allein. Auch die bereits zitierten Stellen aus dem Judas-
und II. Petrusbrief bestätigen das Gesagte. Der letztere benutzt, wie längst
erkannt, den Judasbrief als literarische Vorlage und gestaltet den kurzen
vorgegebenen Text in ähnlicher Weise wie Matthäus seine Vorlage zu
einer in sich geschlossenen Apokalypse aus110.
Die genannten Beispiele könnten den Schluß nahelegen, daß Paulus
selbst unter dem Gesetz dieser Anschauung von der Pseudoprophetie, das,
wie wir sahen, geradezu formgeschichtliche Kraft entwickelte, den Kampf
mit seinen Gegnern an das Ende des Briefes verlegte. Doch ist dagegen zu
sagen, daß II Kor 10-13 im Ganzen keineswegs diese apokalyptische Spra-
che reden und die Gegner hier nicht als Schreckgestalten der Endzeit cha-
rakterisiert werden111. Auch müßte dann in den Äußerungen der letzten
Kapitel etwas von der gleichsam exorzistischen Kraft spürbar werden, die
unveräußerlich zu jedem Anathema über die Häretiker gehört. Aber nichts
dergleichen begegnet hier, vielmehr tritt Paulus als einer wie sie in das
Kampffeld ein, ja genauer gesagt als einer, der für den Augenschein ihnen
unterlegen ist und nur noch in der verzweifelten Rolle eines Narren
streiten kann.

106 Mt 24, 24.
107 Mt 24, llf.
108 Lk 6, 43-46.
109 Vgl. meine Untersuchung „Enderwartung und Kirche im Matthäusevangelium“
in: G. Bornkamm / G. Barth / H. J. Held, Überlieferung und Auslegung im
Matthäusevangelium, 2. Aufl., 1961, S. 14f.
110 H. Windisch, Die katholischen Briefe, Handb. z. NT, 15, 3. Aufl., 1951 (erg.
von H. Preisker), S.91ff.; E. Fascher, Artk. Petrusbriefe, Rel. in Gesch. u.
Gegenw., 3. Aufl., V, 1961, Sp. 259.
111 Auch die Gerichtsandrohung am Schluß von II Kor 11, 15, ist kein Gegen-
beweis.
 
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