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Bornkamm, Günther; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1961, 2. Abhandlung): Die Vorgeschichte des sogenannten Zweiten Korintherbriefes — Heidelberg, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.44191#0030
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Günther Bornkamm

Ganz anders sieht dagegen die Sache aus, wenn wir uns auf den Stand-
ort eines Sammlers und Herausgebers der paulinischen Briefe in nach-
apostolischer Zeit versetzen, für den das Ende des damals geführten
Kampfes ja nicht mehr ungewiß und der Apostel der unbestrittene Sieger
und die große Autorität nicht nur seiner Gemeinde, sondern auch der
Christenheit war, die die Briefsammlung empfangen sollte. Ein solcher
Sammler hat offenbar unter dem Zwang jenes genannten Formgesetzes
urchristlicher Literatur das scharfe polemische Fragment des Schmerzens-
briefes an das Ende des Ganzen gestellt, um so die Gegner des Paulus als
falsche Propheten der Endzeit zu kennzeichnen, der Briefsammlung selbst
ein apokalyptisches Siegel und unanfechtbare, testamentarische Gültigkeit
zu verleihen und damit zugleich dem Bild des Apostels selbst einen ver-
mehrten Glanz zu geben. Denn nun erscheint er nicht nur als der wenn
auch in großer Bedrängnis seinen Gegnern überlegene, sondern zugleich
als der wahre Gottesbote, der die äußerste apokalyptische Gefährdung
seiner Gemeinde, ja der Kirche überhaupt erkannte und sie davor zu
schützen wußte. Genau dies gehört auch sonst zu dem nachapostolischen
Apostelbild. Das zeigen die Acta, die Paulus, der für Lukas freilich nicht
selbst Träger des Apostelamtes ist, bei seiner letzten Abschiedsrede in
Milet die Worte in den Mund legen: „Ich weiß, daß nach meinem Weg-
gänge reißende Wölfe zu euch kommen werden, die die Flerde nicht scho-
nen, auch aus eurer Mitte werden Männer auftreten, die verkehrte Dinge
reden, um die Jünger in ihre Gefolgschaft zu ziehen. Darum wachet . . .!“
(20, 29ff.). Und ebenso lassen die deuteropaulinischen Pastoralbriefe ihn
die Irrlehrer der letzten Zeit ankündigen (I Tim 4, lff.; II Tim 3, Iff.) und
seinen Gehilfen Timotheus warnen, sich auch nur im geringsten mit ihnen
in einen Streit einzulassen (I 1, 4; 4, 7); stattdessen soll Timotheus das
überlieferte Gut der „gesunden Lehre“ rein und klar bewahren, unbeküm-
mert um die endlosen Fabeleien und das Gezänk der Irrlehrer112.

112 Testamentscharakter hat wie die Abschiedsrede des Paulus in Milet Apg 20,
17-33 (dazu zuletzt G. Klein, a. a. 0., S. 178ff.; daselbst weitere Literatur)
auch der II. Timotheusbrief. Zur Gattung dieser „Vermächtnisse“ vgl. Joh.
Munck, Discours d’adieu, in: Aux sources de la tradition chretienne, Me-
langes offerts ä Μ. Goguel, 1950, S. 155ff. Die Ketzerpolemik Apg 20, 25ff.
setzt für die nachpaulinische Zeit und die Gegenwart des Vfs. der Apg. das
Auftreten von Irrlehrern in Kleinasien voraus, die sich auf Paulus berufen
haben (E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, 12. Aufl., 1959, S. 523. 527ff.; G.
Klein, a. a. O., S. 183ff.). Marcion ist unter ihnen nur der bedeutendste, aber
keineswegs der erste und einzige (W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei,
1934, S. 227). Ihnen gegenüber verweist Apg 20, 20. 27 auf das vollständige,
gegen jede mißbräuchliche „Entfaltung“ seitens der Irrlehrer von Paulus selbst
testamentarisch geschützte Depositum seiner Lehre, zu dessen einzig legitimer
Verwaltung nunmehr die von ihm bestellten Presbyter als Amtsnachfolger be-
stellt werden. Die gültige Tradition der apostolischen Kirche wird so mit dem
Gedanken der Amtssukzession verbunden (G. Klein), wenn auch noch nicht
 
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