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Bornkamm, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1965, 1. Abhandlung): Luther als Schriftsteller: vorgelegt am 6. Juni 1964 — Heidelberg, 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.44206#0042
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Heinrich Bornkamm

Gottesbildes, der Verborgenheit und dem Alleinwirken Gottes und
der Auslieferung des Menschen an die Macht Gottes oder des Teu-
fels, hinweggezogen. Fast möchte man sagen: er hätte sie nie ent-
deckt - jedenfalls in der Gestalt, in der er sie hier ausspricht. Erst
der Gegner reißt die äußersten Gedanken und gewagtesten Formu-
lierungen aus ihm heraus. Wie sehr er selbst daran wächst, zeigt am
eindrucksvollsten der über Jahre sich hinziehende Abendmahlsstreit.
Zunächst grenzte er seine noch wenig entfaltete Anschauung nur von
bestimmten Punkten der römischen Lehre ab. Dann aber wurde er
durch die Kritiker aus den eigenen Reihen (Karlstadt, Schwenckfeld,
Zwingli, Oekolampad) gezwungen, ein Stück nach dem andern durch-
zuklären und hinzuzufügen: die Exegese der Texte, die hermeneu-
tischen Prinzipien, das Verhältnis von Bild und Sache, von Wort,
Geist und Sakrament, bis völlig unerwartet eine dynamistische Meta-
physik als Untergrund seines Denkens sichtbar wird und die ganze
Auseinandersetzung in tiefe Verschiedenheiten der Christusanschau-
ung ausmündet72. Die Kontroversform, in der Luther zentrale theo-
logische Fragen behandelt, hat natürlich die mißliche Folge, daß die
Gedankenführung dieser Schriften weithin vom Gegner abhängt.
Er muß der scholastischen Argumentation der Theologen, der Rechts-
tradition der Kirche, der Moralphilosophie des Erasmus, der huma-
nistischen Sprachauffassung Zwinglis und immer wieder der Exegese
einzelner Bibeltexte, die ihm entgegengehalten werden, genau fol-
gen, um daran seine eigene Anschauung zu entwickeln. Das macht
die Lektüre dieser großen theologischen Schriften manchmal recht
mühsam, bietet aber dem aufmerksam Folgenden die hohe Span-
nung, wie Luther sich Griff um Griff dem Gegner zu entringen und
ihn zu Boden zu werfen versucht. Das Verbindende dieser Schriften
ist wieder, daß er alle theologischen Debatten in einem das Mittel-
alter weit übersteigenden Maße auf die Schriftauslegung, sein
„Idiom“, zurückführt. Die Bibel ist in jedem dieser Dialoge der
dritte Partner. Da Luther sich um die Frage der literarischen Form
dabei überhaupt nicht kümmert, sind die künstlerischen Mittel, die
er hier einsetzen kann, rein sprachlicher Art: die geschliffene Sen-
tenz, Humor oder bittere Satire, die Kraft der Vorstellung, mit der
72 Die philosophischen Aussagen zuerst in dem Sermon von dem Sakrament des
Leibes und Blutes Christi wider die Schwarmgeister (1526). Dazu Erwin
Metzke, Sakrament und Metaphysik (1948; jetzt auch in Metzkes gesammelten
Studien: Coincidentia oppositorum, 1961). Die Erweiterung in die Christologie
hinein bringen die Schriften von 1527 und 1528.
 
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