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Bornkamm, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1965, 1. Abhandlung): Luther als Schriftsteller: vorgelegt am 6. Juni 1964 — Heidelberg, 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.44206#0044
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Heinrich Bornkamm

den Partnern steht. Infolgedessen tritt er darin nicht in einer Rolle
auf, sondern er ist immer er selbst. Paul Böckmann hat darauf hin-
gewiesen, daß Luther sich in seinen frühen Schriften noch gelegent-
lich in der seit Ende des 15. Jahrhunderts beliebt gewordenen Figur
des Narren vorstellt, „aber nur als der Narr, der eine Sache ge-
funden hat, von der er zeugen muß, auch wenn sie überall als Narr-
heit gescholten wird75“. Nicht zufällig schlägt er gerade in der poli-
tischen Schrift an den christlichen Adel, in der er so sichtbar die
Grenzen seiner Kompetenz überschreitet, diesen ironisch-selbstironi-
schen Ton an: Was hat er als einzelner, noch gar als Mönch hier zu
sagen? „Ich muß das Sprichwort erfüllen ,Was die weit zuschaffen
hat, da muß ein munch bey sein, und solt man yhn datzu malen1.“
Und doch, obwohl er sich zu gering dafür weiß, „wil ich doch das
narn spiel hynauß singen und sagen, ßovil mein vorstand vormag,
was wol geschehen mocht und solt von weltlicher gewalt odder ge-
meinen Concilio76.“ Aber Luther zieht das Narrenkleid nicht noch
einmal an, obwohl er das Phänomen nicht aus dem Auge verliert;
bezeichnenderweise am deutlichsten wieder, wo es um die politische
Funktion des Narren geht. Aesop, „in Fabeln weise als ein Narr“,
zeigt ihm, daß man die Fürsten und Herrn nicht besser „zur Wahr-
heit betrügen“ kann als durch ihre Narren. Er selbst aber tritt den
Fragen der Zeit offen, ohne Narrenkappe oder sonstige Verkleidung
gegenüber. Böckmann hat diesen Prozeß schön beschrieben als die
Überwindung der dichterischen Satire, die sich begnügt, das Treiben
der Welt schwankhaft zu schildern und sarkastisch zu strafen, zu-
nächst durch das Pathos des reformatorischen Glaubens und dann
durch die Bändigung dieses Pathos in einem neuen Ethos, das eine
umfassende Verantwortung für die Fragen der Welt auf sich nimmt77.
In der Tat: daß der Narr eine nur bei einem besonderen Anlaß aus-
geliehene Maske bleibt78, ist ein Symbol für den Ernst und die Di-
75 Formgeschichte der deutschen Dichtung I (1949), 252.
76 6; 404, 23ff.; 427, 30ff. (1520). Berger, Dt. Lit. Reformation I, 79f., 104. - Mehr
als Redeform: L. rühmt sich „nach meinem alten Narren“, daß er außer der
Bibel und Augustin aus keinem Buch so viel gelernt habe wie aus der „Deut-
schen Theologie“. 1; 378, 21 (1518).
77 S. 250ff. Diesem Prozeß entspricht auch die von Wolf von Both beobachtete
Wandlung in Luthers Gebrauch der Fabeln und Tierbilder: bis 1522 vorwie-
gend satirisch, seitdem immer stärker didaktisch (Luther und die Fabel, Phil.
Diss. Breslau 1927, S. 5ff.).
78 Luther hält sich später im wesentlichen an die biblische, in der jüdischen Spruch-
weisheit beheimatete Seite der Dialektik des Narrenbegriffs: nicht der Narr als
 
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