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Bornkamm, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1965, 1. Abhandlung): Luther als Schriftsteller: vorgelegt am 6. Juni 1964 — Heidelberg, 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.44206#0047
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Luther als Schriftsteller

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lateinischen Briefen bemühte sich Luther um sie, es sei denn, er legte
Wert darauf zu zeigen, daß er sie beherrschte. Aber sonst gibt er
sich auch in ihnen ähnlich unmittelbar wie in seinen deutschen. Vor
allem, seine Briefe waren fast nie eine literarische Selbstkundgebung.
Mit seltenen Ausnahmen gilt: „Das Schwergewicht liegt immer beim
Empfänger85.“ Sie sind wirklicher Dialog wie seine Schriften im
großen.
Im Blick auf Erasmus, dessen Theologie ihm seit früher Zeit als
unzureichend erschien, hat Luther einmal ausgesprochen, was er über
Stil und Wahrheit dachte: Potentior est veritas quam eloquentia,
potior spiritus quam ingenium, maior fides quam eruditio. Das gilt
nicht nur für den Bereich des Glaubens, z. B. für die Überlegenheit
Augustins über den glänzenden Stilisten Julian von Aeclanum, sei-
nen bedeutendsten Gegner im pelagianischen Streit. Sondern es gilt
allgemein, etwa auch für die Sphäre des Rechts: Ciceros Redekunst
sei öfters vor Gericht durch Redner geringeren Ranges aus dem
Felde geschlagen worden86. Luther meint also die Wahrheit als wir-
kendes Wort im Unterschied von Faszination und schönem Spiel und
kennzeichnet damit zugleich das Wesen seiner Schriftstellerei.
„Was Luther vom Dichter unterscheidet“ - hat Ricarda Huch ge-
sagt - „ist nur das, daß er niemals absichtlich gestaltet, es kam ihm
nur auf Wahrheit, nie auf Schönheit an. Zwar sind seine Werke
überreich an Schönheit, aber nur an zufälliger; er schüttet Edel-
steine, Gold und Perlen aus unerschöpflichem Füllhorn, aber ein Ge-
schmeide macht er nicht daraus . . . Die Beseelung der Form durch
die Persönlichkeit ist unser höchstes Ziel und das, was wir an Luther
bewundern87.“ Wenn damit auch nicht Luthers eigene Intention aus-
gesprochen ist, so doch seine Wirkung. Ricarda Huch rührt an das,
was Luther nicht nur mit Bibelübersetzung und Kirchenliedern oder
sonst einem Teil seiner Schriftstellerei, sondern mit dem Ganzen
seines literarischen Werkes zu einem Durchbruch in der deutschen
Literaturgeschichte wie in der Sprachgeschichte macht. In einer von
außen gesehen formlosen, aus dem Gesetz dessen, was er sagen will,
entspringenden Form teilt er die ihm gewiß gewordene Wahrheit
auf eine unvergleichlich persönliche Weise mit. Darin bereitet sich
die künstlerische Fähigkeit vor, sich selbst in ganzer Wahrheit mit-
85 Lockemann, S. 38.
86 Briefe an einen Unbekannten, 28. Mai 1522. Br. 2; 544, 12ff.
87 Luthers Glaube (1916), S. 160f. Neuausgabe (1964), S. 144.
 
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