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Flashar, Hellmut; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1969, 1. Abhandlung): Der Epitaphios des Perikles: seine Funktion im Geschichtswerk d. Thukydides — Heidelberg, 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.44304#0064
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Hellmut Flashar

Thukydides hat erkannt, daß politisches Handeln und Denken von
dem Phänomen der Macht her bestimmt ist. Insofern Macht aber
menschliche Macht ist, ist Geschichte zugleich Kenntnis des Mensch-
lichen. Das Zerfallen menschlicher Hoffnungen und Berechnungen
hat Thukydides in dem Komponieren auf die Niederlage hin im
Streit und Widerstreit der politischen und militärischen Kräfte so
dargestellt, daß dabei eine hintergründige Tragik sich bemerkbar
macht, die die Gedankenführung des ganzen Werkes durchzieht101.
Die Tragik besteht aber nicht in dem wehmütigen Bedauern über
das Hinsinken einer vergangenen Epoche, wie überhaupt dem Phä-
nomen mit der Vorstellung der Periklesapologie nicht beizukommen
ist102. Die perikleische Ära und darin besonders der Epitaphios er-
scheint vielmehr der notwendige, die Gefahr des Verhängnisses
schon in sich bergende Ausgangspunkt für den Ablauf des tragischen
Geschehens. Der Epitaphios ist dabei nicht eine als Sünde wider den
Geist begangene Inkonsequenz des Herzens, sondern das perikleische
Ideologie wiedergebende Glanzbild, das schrittweise zerbricht, je
stärker die vom Machtstreben besessene Menschennatur sich enthüllt.
Will man auf der Suche nach der Auffassung des Thukydides neben
dem Historiker Thukydides, der die Fakten darstellt, den „Staats-
ethiker“103 zu seinem Recht kommen lassen, so liegt das ethische
Moment nicht in der vordergründigen Aussage des Epitaphios oder
überhaupt in der Verklärung des Perikies, sondern in dem Bereich
des Menschlichen als des Humanen außerhalb jeden Machtdenkens,
wie es sich meist unausgesprochen zwischen den Zeilen, gelegentlich
an die Oberfläche tretend, aber doch unüberhörbar und unisolierbar
durch das ganze Werk zieht. Gewiß stellt Thukydides Geschichte
mit neuen, bis dahin unerhörten Denkkategorien dar, in der Wer-
tung und Sinngebung des Geschehens aber ist er Herodot näher, als
meist angenommen wird104. Das bedeutet jedoch nicht, daß er in der
101 Diese ist glänzend herausgestellt von K. Reinhardt, Thukydides und Macchia-
velli, a. 0. passim. Das Thukydidesbuch von H.-P. Stahl geht in der Gesamt-
intention in die gleiche Richtung. (Einige z. T. berechtigte Einschränkungen bei
J. de Romilly, Gnomon 40, 1968, 232ff.)
102 Damit soll nicht ausgeschlossen sein, daß Thukydides im einzelnen von anti-
perikleischer Tendenz bestimmte Urteile seiner Zeitgenossen korrigiert, aber
Anlage und Absicht seines Werkes läßt sich m. E. von daher nicht begreifen.
103 Vgj pp Herter, a. 0. 150 mit Angabe früherer Literatur.
104 Daß Thukydides in den menschlichen und moralischen Wertungen auf früher
Gültiges zurückgreift, bemerkt mit Recht H. Diller, a. 0. 204. Ausgezeichnet
 
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