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Gärtner, Hans Armin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1974, 5. Abhandlung): Cicero und Panaitios: Beobachtungen zu Ciceros "De officiis" ; vorgel. am 12. Jan. 1974 v. Viktor Pöschl — Heidelberg: Winter, 1974

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https://doi.org/10.11588/diglit.45448#0022
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Hans Armin Gärtner

Weise die Weisheit (φρόνησις) nicht geschaut wird; - heftige Liebe
würde sie wohl erwecken, wenn sie ein so deutliches Abbild von
sich darbieten würde, das in die Augen eindränge - und alles andere,
was liebenswert ist. Nun aber ist der Schönheit allein dieses zuteil
geworden, daß sie sehr hervorleuchtet (έκφανέστατον είναι,) und
voller Liebreiz ist».
Im ersten Satz ist die Weisheit einmal Ursache der Liebe und muß
dann auch als ihr Objekt gedacht werden.
In de off. 1,15 erscheint die Weisheit nur als Objekt der Liebe;
Ursache und Grund ist aber nicht die Weisheit, sondern «die Gestalt
und gleichsam das Gesicht des Ehrenhaften» (<forma quidem ipsa et
tamquam facies honestb).
Ähnliches findet sich in de finibus II,525. Dort bringt Cicero das
Platozitat auch. Er sagt im vorausgehenden, daß Epikur sehr selten
die zentralen Begriffe der Philosophie verwende: <sapientia>, <fortitudoq
<iustitia>, <temperantia> (also die vier Kardinaltugenden). Aus Liebe
zu diesen Begriffen (istorum verborum amore) hätten sich Menschen
von besonders hervorragender Begabung an das Studium der Philo-
sophie gemacht. Dann folgt das Platozitat, jedoch in der Form, daß
die <sapientia> anders als in de off. I, 15 sowohl Ursache als auch
Objekt der Liebe ist. Die Gedankenfolge in diesem Passus von de
fin. ist nur verständlich, wenn nach der Erwähnung der vier Kardinal-
tugenden dann in dem Zitat die <sapientia> als Stellvertreterin für
alle vier Tugenden auf gefaßt wird.
In de off. 1,15 wird das Zitat entsprechend verwendet. In den
vorangehenden Darlegungen (1,11-14) waren die vier Kardinal-
tugenden aus der Grundanlage des Menschen abgeleitet worden;
5 <Oculorum>, inquit Plato, <est in nobis sensus acerrimus, quibus sapientiam non
cernimus. quam illa ardentis amores excitaret sui!>
A. Weidner: Die Interpolationen in Ciceros OfSeien, S. 19, hat in Anlehnung
an diese Stelle aus de finibus auch an unserer Stelle als Lesart <excitaret sui>
vorgeschlagen. W. stößt sich an dem Unlogischen der Aussage; A ist wunder-
schön, wenn du es sehen würdest, würdest du dich in B verlieben. Er räumt
allerdings dann ein, daß nach sokratischer Lehre die Weisheit aller Tugend zu-
grunde liegt. Allerdings könne man von der Wirkung auf die Ursache, von dem
honestum auf die sapientia schließen. Doch Cicero wollte seinen Sohn doch für
das <honestum> begeistern. Cicero zitiere Plato nicht wegen des Gedankens,
sondern wegen des eigentümlichen Ausdrucks <mirabiles amores excitare. Ein
halbgelehrter Leser habe dann nach Plato das <sui> durch <sapientia> ersetzt. -
Ich meine, schon Panaitios hat die Phaidrosstelle hier gebracht, weil er auf den
ganzen Argumentationszusammenhang im Phaidros hinweisen wollte, wo es
um die Frage der Sichtbarkeit des Schönen geht.
 
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